Interview „Unser Buch wird bestimmt nicht gelesen“

Was sind eigentlich die 100 wichtigsten Dinge? Diese Frage will das "Institut für Zeitgenossenschaft" in einem Buch klären. Im stellenweise gar nicht ernsten Interview spricht Timon Karl Kaleyta über Vorschlaghammer, unfassbar teure Tätowierungen und Sätze, die niemand versteht.

 Wer lustig ist, muss noch lange nicht lachen. Timon Karl Kaleyta steht vor einem schönen Hintergrund in New York.

Wer lustig ist, muss noch lange nicht lachen. Timon Karl Kaleyta steht vor einem schönen Hintergrund in New York.

Foto: Mischa Lorenz

Timon Karl Kaleyta ist der Herr der Dinge. Der 34-Jährige, der zwischen Ironie und Ernst wechseln kann, ohne dass es sein Gegenüber merkt, hat sich mit seinem Autorenkollektiv "Institut für Zeitgenossenschaft" eine besondere Aufgabe gestellt: die 100 wichtigsten Dinge in einem Buch zusammenzufassen, um der Menschheit Orientierung zu geben. Nicht die 100 wichtigsten Dinge Düsseldorfs. Nicht die 100 wichtigsten Dinge der Welt. Sondern schlicht und größenwahnsinnig: die 100 wichtigsten Dinge. Wie Höhle, Haufen und Getränk. Weil das aber Geld kostet, versucht das 2011 in Düsseldorf gegründete Institut, den Buchdruck per Crowdfunding zu finanzieren. 6000 Euro müssen bis zum 15. Januar zusammenkommen. Wer das Projekt unterstützen will, kann dies unter www.startnext.de/100dinge tun.

Welches Ding geht Ihnen gerade durch den Kopf?

Timon Karl Kaleyta Vielleicht ein Vorschlaghammer. Früher hatte ich mir immer zu den großen Fußball-Turnieren einen sehr groben Gegenstand gekauft, den jeder vor den wichtigen Spielen einmal berühren musste. 2002 beispielsweise hatte ich erstmals eine WM-Axt, die hat natürlich jedem große Angst gemacht. Aber Deutschland kam ja ins Finale.

Ist Ihr Buch relevanter als "Die 100 ekligsten Dinge der Welt" und "Die 100 gefährlichsten Dinge der Welt"?

Auf jeden Fall. Wir verzichten bewusst auf den Zusatz "der Welt", das würde es so beliebig machen. Es geht um die 100 wichtigsten Dinge, nicht nur die 100 wichtigsten Dinge der Welt. Niemand hat vor uns die 100 wichtigsten Dinge zusammengestellt. Wir wollen damit eine ganz neue Ordnung aufmachen. Die Leute sehnen sich nach Ordnung.

Ich habe auch noch das Buch "Die 100 schönsten Plätze in Bayern" gefunden.

Ich bin ein großer Freund von Bayern, außer dem Fränkischen. Der Titel ist schön, aber so klein muss man sich erst mal trauen zu denken.

Ihr Buch könnte in der Buchhandlung bald daneben stehen.

Das soll uns Recht sein. Aus Marketinggründen ist es gut, wenn es in der Abteilung steht, wo die Menschen nach einfachen Antworten suchen. Es wird das reinste Coffee-Table-Buch. Weiß und quadratisch. Stellen Sie sich eine schöne Wohnung von reichen Menschen von, und dort liegt das Buch wie ein Monolith. Es ist perfekt zum Blättern. Die Texte sind kurz bis mittellang, und es gibt schnell was zu Staunen.

Man kann schon Eindruck machen, indem man es einfach besitzt, oder?

Seit wann werden Bücher gelesen? Unseres bestimmt nicht. Tausende werden es Weihnachten 2015 verschenken, und den Menschen wird es gut gehen. Das ist unser Ziel.

Wie entstand der Wunsch, die 100 wichtigsten Dinge zu finden?

Die Frage war: Bekommt man es hin, mit 100 Begriffen die Welt komplett zu beschreiben?

Dann wird das Handy nicht fehlen.

Doch, denn das wäre völlig banal. Vor 20 Jahren gab es noch kein Handy, also kann es nicht so wichtig sein. Andererseits haben wir das Internet ins Buch genommen. Das Foto dazu ist allerdings ein zusammengeknülltes Scart-Kabel. Das hat wirklich nichts mit Internet zu tun. Aber es sollten alle Bereiche abgedeckt werden. Bei Kleidung haben wir uns für den Sack entschieden.

Das liegt nicht sehr nahe. Was berechtigt Ihr Institut eigentlich, die 100 wichtigsten Dinge festzulegen?

Eine intensive Beschäftigung mit der Welt des Geistes und der Wissenschaft. Bis auf unseren Fotografen sind wir alle Wissenschaftler. Nun wollen wir einen neuen Weg und eine neue Art der Wissenschaft betreiben.

Die sich inwiefern von der üblichen Wissenschaft unterscheidet?

In erster Linie dadurch, dass sie sehr gut aussieht.

Warum sollte ich Ihnen Geld geben für das Projekt?

Für 30 Euro bekommen Sie ja schon das Buch, oder wie ich schreibe "Ihr persönliches Reise- und Lesexemplar". Ein Begriff, der vertraut klingt, den es aber nicht gibt. Vor allem, weil das Buch zum Reisen völlig ungeeignet ist. Außerdem unterstützen Sie mit Ihrem Geld die Wissenschaft. Unser Leitspruch ist "Saeculum lucis et veritatis", das Zeitalter des Lichts und der Wahrheit. Das sollte jedem Menschen mit genug Geld Anspruch genug sein zu investieren. Wir wollen einen neuen Blick auf die Dinge schaffen.

Was gefällt Ihnen am alten Blick nicht?

Sehen Sie sich um, wir sind im Zeitalter der "schwarzen Null", den der Bundeshaushalt erreicht hat. Übersetzt ist das ein dunkles Nichts. Das kann nicht die Messlatte für Erfolg sein. Wir holen die Gesellschaft aus der Krise.

Wer 10.000 Euro investiert, darf sich seinen Namen tätowieren lassen. Ganz schön viel Geld für ein Tattoo.

Aber dann tätowiert sich unser Fotograf Ihren Namen auf seinen Körper.

Ach, das wird auf den Körper des Fotografen tätowiert? Kann ich auch bestimmen, wohin?

Nein, das darf er bestimmen. Das ist kein Witz. Der Fotograf hat auch vorgeschlagen, es billiger zu machen, weil er es unbedingt machen will.

Ein paar Dinge haben Sie bereits auf Ihrer Website verraten. Dazu gehört der Begriff Rahmen. Dort steht: "Bestimmt das, was drinnen, und das, was draußen ist. Erst durch Rahmen konnte der Mensch auch die Dinge sehen, die nicht gemalt sind." Der Satz klingt gut, aber ich habe ihn nicht verstanden.

So ist es gewollt. Das kriegen Sie im Kopf nicht geordnet. Ich hatte schlaflose Nächte wegen dieses Satzes. So funktionieren diese Texte. Damit man einen frischen Blick auf Dinge wirft, der auch falsch sein kann.

Schöner fand ich den Satz zum Ball: "Unübertreffbares Symbol der kulturellen Evolution."

Der Satz ist von Volker Panzer, dem langjährigen Moderator des ZDF-Nachtstudios, eine vor zwei Jahren abgesetzte Philosophiesendung. Vielleicht meinte er auch das Rad und hat es auf den Ball übertragen.

Auch der Schaum hat es ins Buch geschafft: "Ein Aggregatzustand, den die Moderne erfand. Gilt trotz seiner weiten Verbreitung im Grunde als überflüssig."

Ohne Schaum keine Autowäsche und keine Feuerbekämpfung. Erst kommt die Bändigung des Feuers insgesamt und dann kommt das Löschen des Feuers mit Schaum. Es ist die zweite Bändigung des Feuers. Da fällt mir die Geschichte ein, wie mein Kollege Tilman Mühlenberg kürzlich an den Niagara-Fällen durchs Fernglas eine Wasserleiche entdeckte und den Ranger rief. Er nannte das "zweite Hilfe".

Ein Ding, über das ich mich sehr gewundert habe, ist "Höhle".

Da gefiel uns das Wort, außerdem kommt es gut, wenn jemand fragt "Welche Dinge stehen denn in dem Buch?" und ich sage "Höhle". Kompletter Quatsch ist auch, wenn wir schreiben "Werner Herzog ist einer der letzten großen Filmemacher, die Filme für Höhlen drehen". Aber wenn Höhlen nicht wichtig wären, gäbe es ja auch keine Höhlenforscher.

Ich müsste nun doch mal fragen, wie ernstgemeint das Buch ist.

Alles, was in einem Buch erscheint, ist ernstgemeint.

Was ist Ihr Lieblingsding aus dem Buch?

Der Haufen. Da habe ich mir diesen Historiker ausgedacht, Bertram Likursi, der in den 60er Jahren das Buch geschrieben haben soll "Geschichtsschreibung als Anhäufung von Gewesenem".

Welche Dinge haben es nicht ins Buch geschafft, obwohl man sie dort erwartet?

Neben dem Handy das Rad.

Warum das denn nicht?

Das ist zu kurz gedacht. Auch das Auto nicht. Das ist zu nah am bekannten Verständnis. Dafür hat es die Rakete geschafft.

Vermutlich nur, weil es besser klingt als das Wort "Auto".

Es soll eben was auslösen im Menschen. Wir haben auch Wasser nicht drin, stattdessen "Getränk". Die Autorin schreibt "Zahlreiche ikonographische Darstellungen aus der Kunstgeschichte zeigen, wie Eva Adam auf ein Getränk einzuladen versucht." Das ist eben ein völlig neuer Kosmos.

Und Sie wissen selbst nicht so genau, wo es hingeht.

Es ist eben Neuland.

Beschäftigen wir uns nicht zu viel mit Dingen?

Nein. Es gibt de facto keine Welt außerhalb der Dinge.

Was ist mit Gefühlen?

Wir sind kein gefühlsduseliges Institut. Man kann nichts bewegen außerhalb der Dingwelt. Allerdings bestehen Atomkerne bloß aus Energie. Eigentlich existiert das alles nicht.

Darüber möchte ich nicht so genau nachdenken. Warum gibt es mehr Dinge als Gefühle?

Das stimmt nicht, es ist bloß ein Sprachproblem. Es gibt viele Gemütszustände, es gibt nur nicht für alle Zustände Begriffe. Der Mensch ist in den Grenzen der Sprache gefangen. Ich glaube allerdings auch nicht an Gefühle.

Haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht?

Nein, eigentlich noch nie. So richtig echte Gefühle aber habe ich ausschließlich für meine Eltern, weil die sehr toll sind. Irgendwann brauche ich deswegen dringend auch eigene Kinder — am besten genau eins.

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