Serdar Somuncu „Wie heißt diese Frau mit dem schrecklichen Gesicht?“

Wie wird das Jahr 2012? Darüber soll sich mal jemand Gedanken machen, der es ehrlich mit uns meint. Deshalb sprachen wir mit dem Kabarettisten und Schriftsteller Serdar Somuncu über das Dschungelcamp, noch schlimmere Promis, die Fußball-EM und das NPD-Verbot.

 Serdar Somuncu, der Mann, den man am besten nicht Kabarettist nennt.

Serdar Somuncu, der Mann, den man am besten nicht Kabarettist nennt.

Foto: Wortart

Wie wird das Jahr 2012? Darüber soll sich mal jemand Gedanken machen, der es ehrlich mit uns meint. Deshalb sprachen wir mit dem Kabarettisten und Schriftsteller Serdar Somuncu über das Dschungelcamp, noch schlimmere Promis, die Fußball-EM und das NPD-Verbot.

Wäre es nicht besser, wenn die Welt am 21. Dezember 2012 unterginge, wie es ein Maya-Kalender vorhersagt?

Serdar Somuncu Die sollte doch schon neulich untergehen. Nostradamus hat doch fürs Jahr 2000 den Weltuntergang vorhergesagt, das hat auch nicht geklappt. Aber nein, es soll alles so bleiben, wie es ist. Ich habe keine Lust darauf, dass die Welt untergeht.

Die Fernseh-Highlights des Jahres liegen im Januar: Das "Dschungelcamp" und "Deutschland sucht den Superstar”. Ich habe die Vermutung, dass das nicht Fernsehen nach Ihrem Geschmack ist.

Doch, doch. Das "Dschungelcamp" habe ich beim letzten Mal sehr gerne geguckt. Was ich daran interessant finde, ist, dass die Leute wirklich glauben, sie seien prominent. Ich habe mal Peer Kusmagk und Désirée Nick getroffen. Die denken wirklich, die seien Dschungelkönige. Die denken wirklich, dass dieser Titel eine Bedeutung hat. Natürlich gucke ich es deshalb, weil es unterste Schublade ist. Wenn ich Fernsehen gucke, gucke ich primitives Fernsehen. Sonst erfüllt Fernsehen nicht seine Funktion. Ob ich mir "Deutschland sucht den Superstar" noch mal angucke, weiß ich nicht. Ich bin schon mit dem "Supertalent" überfüttert.

Aber über Dieter Bohlen kann man sich doch so schön aufregen.

Den kann ich nicht mehr sehen. Ich finde den auch nicht mehr abstoßend. Eine Zeitlang fand ich den ekelhaft, aber mittlerweile interessiert der mich nicht mehr. Der ist alt geworden und sieht auch ein bisschen dement aus. Der Blamageaspekt ist auch nicht so hoch wie im Dschungelcamp mit seinen Promis. Dieser Glaube, dass die davon ausgehen, dass auch noch in sechs Monaten über sie gesprochen wird, ist so hanebüchen und kindisch. Schon daran kann ich Spaß haben.

Aber warum glauben diese Promis dann immer wieder, dass die Zeit im Dschungel ihre Karriere befördern kann?

Das liegt an der Verzweiflung der Leute. RTL fängt die ja meistens in Notsituationen ab. Der Sender hat ja genau auf dem Schirm, wer wann im Knast war und gegen wen gerade Prozesse laufen. Deshalb fragt er genau diese Leute. Das sind zum einen gescheiterte Existenzen, die so eitel sind, dass sie wieder ins Geschäft wollen. Zum anderen steht denen die Kacke bis zum Hals. Dann finden die so jemanden wie Carsten Spengemann. Dass die gar nicht erkennen, welches Interesse von RTL dahinter steht, löst bei mir einen Reflex aus, das gucken zu müssen. Irgendwann schämt man sich allerdings nicht nur für die Leute, die man dort sieht, sondern auch für sein eigenes Interesse. Dem kann man sich entweder konsequent verweigern oder es in so einer Überdosis nehmen, dass man anfängt, in der Schlechtigkeit differenzieren zu können. Dass man die Inszenierung erkennt. Da ist eine Dramaturgie drin, die die Realität verfälscht. Das kann man erst sehen, wenn man sich mit der Machart dieser Sendungen auseinandersetzt. Ich will Fernsehen verstehen, um es später von innen zu zerstören.

Aber wenn Sie diese Sendungen gucken, unterstützen Sie diese doch.

Ich bin nicht so ein Revolutionär, dass ich denen die Aufmerksamkeit verweigere, damit der Sender pleite geht. Ich versuche RTL ja zu unterstützen, damit der Sender so lange am Leben bleibt, bis ich weiß, wie ich ihn kaputt machen kann.

Im Mai gibt es ein Event in Baku, von dem wir noch nicht wissen, ob es auch in Deutschland eines wird: der Eurovision Song Contest. Befürchten Sie wieder einen Hype wie in den vergangenen Jahren um Lena?

Der Hype um Lena ist auf jeden Fall tot und das Laben der Öffentlichkeit am Mädchenschema. Das war früher nicht anders. In den 2010ern war es eben Lena. Die hat es perfekt erfüllt, bis wir es nicht mehr ertragen konnten. Das hat ja sogar das Ausland angesteckt. Diese Ausmaße wird es 2012 nicht mehr haben. Das ist schade, weil Stefan Raab die Idee des Song Contests fast revolutioniert hat, indem er ihn weitgehend zu einer Volksabstimmung gemacht hat.

Werden Sie sich den Song Contest ansehen?

Mich interessiert der überhaupt nicht. In den vergangenen Jahren hat die schwule Community um Thomas Hermanns den Song Contest zum Kult gemacht. Für mich war das aber nie Kult, ich fand das immer unglaublich altbacken. Nur die Version von Stefan Raab war eine, die ich stärker registriert habe.

Bleiben wir in der Unterhaltungsbranche. Welcher Promi muss 2012 verschwinden?

Da gibt es eine Menge. Claudia Effenberg, Natascha Ochsenknecht und diese... wie heißt diese Frau, die dieses schreckliche Gesicht hat? Die hat so viel Gesicht... genau, Andrea Sawatzki. Die sieht so aus, als hätte man selbst LSD genommen. Oder diese ehemalige MTV-Moderatorin, diese Griechin. Ich könnte zehn Stunden aufzählen. Ich will auch die Kinder von der Ochsenknecht nicht mehr sehen und diese ganzen Leute, die da so über die roten Teppiche laufen. Alle in eine Kiste und weg.

Dürfen wir denn darauf hoffen, dass Guttenberg im Jahr 2012 keine Chance mehr hat?

Der hat sich doch jetzt eingenistet. Der ist doch jetzt EU-Berater. Wer so geschickt ist, eine Doktorarbeit zu fälschen und zum möglichen Kanzlerkandidaten aufzusteigen, der wird es auch schaffen, sich nach einer solch schweren Niederlage wieder aufzurappeln. Guttenberg wird in die Politik zurückkehren. Schade. Andere Politiker mit weitaus weniger Verfehlungen waren konsequenter und sind dauerhaft zurückgetreten. Guttenberg ist ein Politiker der neuen Generation, der sich für nichts zu schade ist und so machtgeil ist, dass er nicht davon lassen wird.

Nun sind wir schon in der Politik angelangt. Im März sind Präsidentschaftswahlen in Russland. Müsste die deutsche Regierung sich im Vorfeld nicht mal deutlicher äußern, was die Menschenrechtsverletzungen betrifft?

Das wird sie tunlichst vermeiden. Russland liefert das Gas, Gazprom ist einer der wichtigsten Energielieferanten Europas. Da hat die deutsche Regierung gar nicht die Möglichkeit, sich kritisch zu äußern, ohne Konsequenzen zu befürchten. Außerdem war Putin immer jemand, der sehr gelegen kam. Da werden die Deutschen jetzt nicht auf den Zug aufspringen und sagen "Wir wollen das nicht". Wenn nicht Millionen auf die Straße gehen, dann wird Putin die Wahlen gewinnen. Aber der Aufstand wird im Keim erstickt werden.

Gerade wird mal wieder das NPD-Verbot diskutiert. Wird diese Diskussionen 2012 wieder verebben?

Sie wird hoffentlich wieder verebben, weil es eine Diskussion ist, die am Thema vorbeigeht. Die Frage, ob NPD-Verbot ja oder nein, hat nichts damit zu tun, wie man Rechtsradikalismus bekämpft. Da nutzen auch keine aufgestülpten Hilfsprogramme. Da muss man wirklich vor Ort sein und die Realität vor Ort kennen. Nur so kann man verstehen, warum die Zwickauer Zelle zehn Jahre an uns vorbeimorden konnte. Und wir müssen uns fragen, ob wir nicht durch die öffentlichen Debatten, die wir hinnehmen und fördern, solche Zellen stark machen.

Bei Anders Breivik ist es ja klar nachgewiesen, dass sich jemand in einen antimuslimischen Wahn gesteigert hat aufgrund einer völlig undifferenzierten Wahrnehmung der Realität. In Norwegen gibt es weitaus weniger Ausländer als in Deutschland, aber es hat gereicht, um diesen Menschen so zu beeinflussen, dass er auf die Straße geht und 69 Leuten in den Kopf schießt. Dieser Wahn wird nicht ohne weiteres erzeugt. Auch wir haben zum Teil Schuld daran, indem wir entweder die Keime und Auslöser ignorieren oder initiieren. Die Lösung wird also nicht das NPD-Verbot sein, sondern eine gründliche Hinterfragung unserer eigenen Konstitution. Es wird auch nach dem NPD-Verbot rechtsradikale Übergriffe geben. Die Frage ist, ob wir dann mit der gleichen Vehemenz darüber reden wie jetzt.

In einem Moment sehen wir die Gefahr im islamischen Terrorismus und plötzlich ist es dann wieder der Rechtsradikalismus.

Die Politik nutzt Stimmungen. Mal redet man über Sarrazin und sein Buch und tut so, als sei ganz Deutschland unterwandert von kriminellen Ausländern, dann spricht man wieder vom Bild des toleranten Deutschlands wie bei der WM 2006, dann sprechen wir wieder über Rechtsradikalismus. Das ist alles ein Problem mangelnder Differenzierung. Die meisten fahren mit Zügen, die andere ihnen durchs Dorf jagen. Und diese Züge kommen mit einer Geschwindigkeit, die einen überrascht. Und sie fahren auch wieder weg. In Zeiten von Facebook und Twitter, in denen Leute sehr schnell und sehr undifferenziert etwas sagen können, gibt es Ballungen von Stimmungen und Entzerrungen von Stimmungen. Die Politik macht den Fehler und nutzt diese Stimmungen, anstatt sie einzuordnen.

Das wichtigste sportliche Ereignis 2012 wird die Fußall-Europameisterschaft sein. In Ihren Programmen schimmert ja immer durch, dass Sie bei Massenereignissen vorsichtig sind.

Ich habe ein Problem mit der Konnotation dieser Ereignisse. Ich bin nicht prinzipiell gegen Massenereignisse. Aber wenn daraus unkontrollierbare Strömungen entstehen, Leute, die "Heil" oder "Sieg" rufen, dann werde ich hellhörig. Aber ich bin großer Fußballfan. Seitdem ich denken kann, bin ich Mitglied von Borussia Mönchengladbach.

Welches Gefühl haben Sie für die deutsche Mannschaft bei der EM?

Ein schlechtes. Erstens, weil ich grundsätzlich im Fußball antideutsch bin. Zweitens bin ich ein Kind der 70er Jahre. Wer die 70er Jahre erlebt hat, weiß, dass Deutschland die Mannschaft war, die immer den schlechtesten Fußball gespielt hat, aber die besten Ergebnisse hatte. Jetzt spielen die Deutschen zum ersten Mal fantastisch und genau deshalb werden sie unglücklich ausscheiden. Damit werden sie zum ersten Mal erleben, was andere vor ihnen schon sehr sehr oft erlebt haben. Bereits die Vorrunde wird schwer. Wenn sie es nicht schaffen, wird es für Jogi Löw schwer, Trainer zu bleiben und bei der WM ein gutes Ergebnis zu erzielen.

Über wen werden wir 2012 lachen?

Die Ära der RTL-Comedians wird noch ein bis zwei Jahre dauern. Dazu gehören Cindy aus Marzahn, Bülent Ceylan, Mario Barth, Atze Schröder. Der Boom ist allerdings vorbei. Auch Mario Barth muss erkennen, dass er kein Stadion mehr vollbekommt. Nun spielt er auch in kleineren Städten. Comedy geht dem Ende entgegen. Ich hoffe, dass neue Leute kommen. Es gibt wieder einige Comedians, die mutig sind.

Sie haben eine Rubrik in der Sendung "NeoParadise" mit Klaas Heufer-Umlauf.

Das ist eine sehr gute Sendung, die genauso unterschätzt wird wie ZDF Neo. Früher galt das ZDF immer als der Rentnersender, aber momentan ist er der innovativste Sender, den wir in Deutschland haben. ZDF Kultur und ZDF Neo sind zwei große und spannende Baustellen. Die lassen in "NeoParadise" mehr zu als die vermeintlich lockeren Privatsender. Auch die "Heute Show" ist wahnsinnig gut.

Vor welchen Trends fürchten Sie sich 2012?

Ich fürchte mich, dass die Abhängigkeit von virtuellen Zahlen immer größer wird. Diese Selbstbestätigung in der Art "Ich habe zweihunderttausend Follower". Das treibt die Menschen nicht nur in der virtuellen Welt, sondern auch in der realen Welt in Depressionen. Diese Unmittelbarkeit und Härte, mit der über Menschen gerichtet wird, nimmt zu. Damit müssen wir lernen zu leben. Ich probiere da auch viel. Wenn ich nachts was bei Facebook poste, werde ich fast nur beschimpft. Tagsüber ist das anders. Aber selten kommt es zu Diskussionen, bei denen es ums Thema geht. Da geht es irgendwann nur noch ums Reden selbst. Die Leute nutzen die sozialen Netzwerke nicht als Info-Quelle, sondern um selbst stattzufinden. Um sich selbst zu spüren.

Wenn Sie von virtuellen Zahlen sprechen — das könnte auch die Börse sein.

Natürlich. Facebook und die Börse haben ja eine klare Verbindung. Die Industrie hat erkannt, dass Interesse ein kostbares Gut ist. Das haben auch die Nachrichtenagenturen erkannt. Je mehr Interesse wir erzeugen, desto mehr bewegen wir auch wirtschaftlich.

Wann bricht die Welt der virtuellen Zahlen zusammen?

Ich bin kein Schwarzmaler und glaube nicht, dass die Welt untergehen wird. Aber es ist so, dass es eine weitere Entkonkretisierung von Dingen geben wird. Wir sind selten von den Dingen betroffen, über die wir reden. In unserem Instant-Interesse sind wir unempfindlich geworden für die wahren Ausmaße der Ereignisse.

Zur Person

Serdar Somuncu, geboren am 3. Juni 1968 in Istanbul, wuchs in Neuss auf und gehört zu den bekanntesten Kabarettisten Deutschlands. Bekannt wurde er Mitte der 90er, als er mit Adolf Hitlers "Mein Kampf" auf Lesereise ging. Weil er dabei immer wieder Probleme mit Neonazis hatte, trat er häufig mit kugelsicherer Weste und Polizeischutz auf. Sein aktuelles Programm heißt "Der Hassprediger". Gerade hat er sein erstes Musikalbum veröffentlicht. Es heißt "Dafür kommt man in den Knast".

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