Burn-out, Impotenz, Hämorrhoiden Krankheiten, über die man schweigt

Köln/Krefeld/Viersen · Impotenz, Vaginalpilz, Depressionen – es gibt viele Erkrankungen, über die möchte man am liebsten den Mantel des Schweigens legen. Sie lösen bei den Betroffenen Schamgefühle aus. Oft jedoch ist es verheerend, zu lange zu schweigen.

Impotenz, Vaginalpilz, Depressionen — es gibt viele Erkrankungen, über die möchte man am liebsten den Mantel des Schweigens legen. Sie lösen bei den Betroffenen Schamgefühle aus. Oft jedoch ist es verheerend, zu lange zu schweigen.

Sich wegen einer Grippe beim Arbeitsgeber krank zu melden, das ist kein Problem. Eine Knieverletzung löst Mitgefühl aus, und auch Herzprobleme sind gesellschaftlich akzeptiert. "Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der es kein Problem ist, wenn jemand mal mit dem Herzen Probleme hat. Hingegen über eine Darmspiegelung zu erzählen ist ziemlich uncool", sagt Dr. Thomas Assmann, der als Internist und Hausarzt in Lindlar arbeitet.

Für viele ist es schwer, sich Rat zu holen, wenn es um Tabukrankheiten geht. Mit der Konsequenz, dass sie erst zu spät zum Arzt gehen. 80 bis 90 Prozent der Patienten, die unter Hämorrhoiden, Darmerkrankungen sowie Pilzinfektionen leiden oder Krankheiten haben, die sexuell übertragen werden, sprechen erst mit einem Mediziner, wenn es nicht mehr anders geht, erklärt Assmann. Während viele Erkrankungen im Anfangsstadium relativ leicht zu kurieren sind, ist das nach mehreren Wochen meist langwierig.

Tabukrankheit Inkontinenz ist meist heilbar

Rund neun Millionen Menschen in Deutschland leiden an Blasen- oder Darmschwäche, informiert das Kontinenz- und Beckenbodenzentrum der Uniklinik Heidelberg. Die Dunkelziffer liegt vermutlich weit höher: Trotz starker Beeinträchtigungen im Alltag sprechen nur wenige mit ihrem Arzt über diese Beschwerden. Dabei ist Inkontinenz häufig heilbar. Tritt sie nach Schwangerschaften auf, kann das mit dem durch die Schwangerschaft und Geburt belasteten Beckenboden zusammenhängen, so die Information des Robert-Koch-Instituts.

Mit einem konsequenten Training des Beckenbodenmuskels löst sich für einige Frauen das Problem. Das aber muss man wissen. Manche Frau, die sich peinlich berührt Monate oder vielleicht Jahre mit dem Problem herumträgt, verändert an dem ermatteten Muskel nichts. Sie riskiert damit, dass sich Gebärmutter und Scheide senken.

Probleme durch Selbstmedikation

Thomas Assmann hält es darum für dringend notwendig, immer zunächst vom Arzt abklären zu lassen, was überhaupt das Problem ist und erst nach einer gesicherten Diagnose eine Behandlung zu beginnen. Fußpilz kann — frühzeitig behandelt — nach kurzer Behandlungsdauer ausgestanden sein. Der Pilz kann aber auch in die Hornschichten des Fußes hineinwuchern. Dann gestaltet sich das Kurieren nicht so einfach und gelinge auf keinem Fall in einer Selbstmedikation, betont der Allgemeinmediziner.

In 80 Prozent der Fälle kann schon ein Gang zum Hausarzt helfen, ohne dass dieser an einen Facharzt weiter überweisen muss, erklärt der Lindlarer Internist. Er kennt den Patienten oft über einen längeren Zeitraum und es ist eine Vertrauensbasis vorhanden, die dem Patienten hilft, über die Lippen zu bringen, was kaum über die Lippen will. Doch der gesellschaftliche Druck ist hoch: Das zeigt sich laut Thomas Assmann in der steigenden Zahl an Burn-outs und Depressionen. Die Erfahrung aus seiner Praxis deckt sich mit denen der Krankenkassen und Psychologen.

Wann Apotheken nicht weiterhelfen können

Auch psychische Erkrankungen gehören zu den Tabukrankheiten. Der Druck wird durch die Einstellung der Umwelt zusätzlich erhöht. Vorherrschend sind Meinungen wie die, man müsse sich nur am Riemen reißen und alles werde wieder gut. Prof. Dr. Wolfgang Senf, Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin Am Uniklinikum Essen, kennt aus der täglichen Praxis Patienten, die von der Angst zerfressen sind, nicht mehr im Arbeitsleben bestehen zu können. In Fällen ernster depressiver Verstimmungen oder schlimmerer Ausprägung ist es unbedingt notwendig, sein Schweigen zu brechen. Menschen, die dann Hilfe in der Apotheke suchen, um sich dort mit rezeptfreien Präparaten in Eigentherapie zu behandeln, sind dort vollkommen falsch. Häufig sehen sich neben den Hausärzten auch Apotheker mit Patienten konfrontiert, die bei ihnen schnelle Hilfe suchen.

"Es gibt Präparate, die helfen über eine schwierige Lebensphase hinweg, wenn zum Beispiel ein Angehöriger verstorben ist oder man wegen einer bevorstehenden wichtigen Klausur ein Nervenbündel ist", sagt Dr. Joachim Kresken, Pressesprecher des Apothekerverbandes aus Viersen. Pflanzliche Mittel wie Baldrian oder Passionsblume wirken leicht beruhigend und können über kleine Krisen eventuell hinweg helfen. Prüfungsangst, Antriebsarmut oder starke innere Unruhe seien jedoch Hinweise auf tiefer sitzende Probleme, die der neurologischen Abklärung bedürfen.

Viagra aus obskuren Quellen ist gefährlich

Die Apotheker warnen davor, sich auf der Suche nach anonymer Hilfe im Internet Rat zu suchen: "Niemals sollte man rezeptpflichtige Medikamente wie zum Beispiel Viagra, das gegen Potenzstörungen verordnet wird, im Internet ohne Rezept bestellen", warnt Kresken. Medikamente, die eigentlich rezeptpflichtig sind, aber ohne Rezept bestellt werden können, kommen aus obskuren Quellen. Nehmen die Leidtragenden solche Präparate ein, können sie sich großen Schaden zufügen. "Im besseren Fall sind sie unwirksam, weil sie eine zu niedrige Wirkstoffmenge beinhalten. Im anderen Fall ist zum Beispiel im gefälschten Viagra-Produkt ein anderer Stoff enthalten, der zu Vergiftungen oder einem Blutdruckschock führt", erklärt der Viersener Apotheker, dem selbst solche Fälle bekannt sind.

Gefährdet sind da nicht nur jüngere Männer. "Auch für Männer über 70 ist es oft problematisch mit der Potenz Probleme zu haben, denn unserem Leistungsdenken nach gehört Sexualität für viele in jedem Alter dazu", sagt Assmann. Der Leidensdruck ist hoch.

Diskrete Räume in Apotheken nutzen

Für Anliegen, die man ungestört mit dem Apotheker besprechen oder abwickeln möchte, gibt es in den Apotheken Beratungsräume oder eine Beratungsecke, in die man sich zurückziehen kann. Dort kann man vertraulich sprechen, erläutert Birgit Nolte, stellvertretende Pressesprecherin der Krefelder Apotheker. Zudem werde auch in den Apotheken darauf geachtet, dass eine Diskretionszone im Bedienbereich eingehalten werde. "Wir achten gerade bei Erkrankungen, die unangenehm sind darauf, auch vom Arzt verordnete Arzneien diskret an den Patienten weiterzugeben", sagt sie. Möglichkeiten gebe es genügende.

(RPO)
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