Haan Allein unter Mädchen

Haan · Kilian Maag ist 13 und macht Ballett. Blöde Sprüche deswegen hat er gelernt zu ignorieren. Er trainiert zweimal die Woche und bewirbt sich jetzt an der Schule des Balletts am Rhein.

Und eins und zwei und drei und vier. Kilian Maag legt die Hände auf die Ballettstange, dreht die Füße so weit nach außen, dass sich die Fersen berühren, dann geht er langsam in die Kniebeuge, tiefer, immer tiefer. Neben ihm stehen fünf Mädchen vor der Spiegelwand, die Haare zum Dutt geknotet, und vollführen die gleichen Bewegungen. Jetzt stellt Jeremy Green in einer Ecke des Saals das Tonband an. Klaviermusik. "Die Schulterblätter nicht herausdrücken", ruft er und zählt weiter. Die Jugendlichen breiten nun die Arme aus, mit sanftem Schwung, die Hände gespannt als öffne sich ein Blütenkelch. Anmutig sieht das aus bei ihnen allen.

Allein unter Mädchen. Daran hat sich Kilian Maag längst gewöhnt. Seit sechs Jahren tanzt der 13-Jährige. Allerdings nicht HipHop, Streetdance oder sonst eine robuste Stilrichtung mit Coolness-Faktor, sondern Ballett. Das bedeutet: Dehnungsübungen vor der Spiegelwand, Muskelaufbau in den Beinen, Armen, im Rücken. Das alles streng im Takt klassischer Musik nach Bewegungsmustern mit französischen Namen, die bis zur Fingerhaltung sitzen müssen. Das ist Körper- wie Gehirntraining - und ganz nach Kilians Geschmack.

Inzwischen trainiert er zwei Mal die Woche in der Ballettschule, Dehn- und Sprungübungen macht er auch daheim. Er brennt für diesen Sport, für den man nicht nur muskulös, gelenkig, ausdauernd sein muss, sondern auch standhaft. Wenn man ein Junge ist.

Es gehe ihm um die Bewegung, das Fließende, die Eleganz, erzählt Kilian daheim im Wohnzimmer, während die beiden Hunde der Familie aufgedreht durchs Haus sausen. Windhunde sind es. "Ich habe auch ziemlich viel Bewegungsdrang", sagt Kilian und lacht, "rumsitzen macht mich wahnsinnig, ich muss mich müde machen."

Er hat schon einige Sportarten ausprobiert, war mal im Schwimmverein, ist gelaufen, sein Vater ist Hobby-Triathlet. Aber dann saß er eines Tages vor dem Fernseher, schaltete gelangweilt durch die Programme, als er auf einem Kanal eine klassische Ballettaufführung sah - und hängen blieb. Ob es eine Übertragung aus dem Bolschoi-Theater in Moskau war, weiß er heute nicht mehr, auch nicht, welche Choreografie getanzt wurde. Nur, dass ihn diese Perfektion der Bewegungen, die Leichtigkeit und Synchronität der Tänzer faszinierten. Das war wie ein Sog. Umgeschaltet hat er nicht mehr.

Und dann wollte er es selbst ausprobieren, wollte wissen, ob er lernen könnte, sich so zu bewegen, ob auch er so gelenkig werden und so scheinbar mühelos springen könnte wie die Tänzer im Fernsehen. "Ich wollte das einfach mal erfahren", sagt Kilian und bat seine Eltern, an einer Schnupperstunde in einer Ballettschule teilnehmen zu dürfen.

Damals war er sieben. Und es gab noch einen Jungen im Freundeskreis seiner Eltern, der Tanzen toll fand und sich mit ihm in die Mädchendomäne Ballettschule wagen wollte. "Die Schnupperstunden waren lustig", erzählt Kilian, "da wurden viele Dehnübungen gemacht, aber alles spielerisch verpackt, das war keine Schinderei." Er mochte auch die Lehrerin der Ballettschule, Corina Bob - und so blieben die beiden Jungs dabei. Eine Stunde pro Woche. "Das war einfach ein Hobby", sagt Kilian. Seinem Freund wurde es trotzdem irgendwann zu viel mit Training und Schule. Kilian blieb dabei.

Natürlich hat er sich blöde Sprüche anhören müssen wegen seines Hobbys. Er hat sie einfach ausgeblendet. Hat gewartet, bis sie verebbte, diese kleine Welle der Aufregung in seiner Schule. "Man kann das ignorieren, es geht vorbei", sagt er und lacht wieder. Es waren ohnehin nur die üblichen Bemerkungen, die bekannten Klischees: Das machen doch nur Mädchen! Da musst du doch Strumpfhosen tragen! Bist du schwul, oder was? "Ich fand das witzig, weil manche Leute einfach gar nicht kapieren, worum es beim Tanzen wirklich geht", sagt Kilian, "aber ich fand's auch ein bisschen traurig, weil viele so ignorant sind." Jedenfalls hat ihn das nicht aufgehalten. Kein bisschen.

Vor ein paar Wochen haben die Schüler der Ballettschule Bob in Haan ein Stück aufgeführt: "Dornröschen", das klassische Märchenballett von Peter Tschaikowski. Kilian hatte gleich vier Auftritte als Page, Prinz, in einem Pas de Trois - einem Solo für Drei - und als Wolf. Der Part war am schwierigsten, weil er das Fell schnell über sein vorheriges Kostüm streifen musste, dann tanzen, da wurde es warm in der Wolfshaut.

Für Kilian sind solche Aufführungen das eigentliche Ziel. "Dafür mach' ich das alles", sagt er, "ich führe gern was vor, wir proben ja Monate an solchen Stücken, dann ist es toll, wenn man voll konzentriert auf die Bühne geht, zeigt, was man kann, und alles klappt."

Die Mädchen in der Ballettschule sind jedenfalls froh, dass wenigstens ein Junge durchgehalten hat und bestimmte Parts übernehmen kann. Und Kilian hat sich eben damit abgefunden, der einzige Junge zu sein.

Aber vielleicht wird sich das bald ändern. Denn Kilian hat sich beworben: Er will an die Schule des Balletts am Rhein in Düsseldorf wechseln. Dann hätte er vier Mal pro Woche Training - im selben Haus wie die Profitänzer aus dem Ensemble von Martin Schläpfer. Und dann wären auch Jungs in seinem Alter dabei, hofft Killian zumindest.

Heute werden alle Bewerber im neuen Düsseldorfer Balletthaus vortanzen. 14 Kinder und Jugendliche haben sich angemeldet. Darunter drei Jungen. Einer davon wird Kilian sein.

Ein bisschen aufgeregt ist er schon. "Ich weiß ja noch nicht, was man von mir verlangen wird", sagt er. "Vielleicht bin ich nicht gut genug, aber dann habe ich eben auch die Erfahrung gemacht." Einmal hat Kilian das Ballett am Rhein schon tanzen sehen, vor allem Schläpfers Choreografie zu Mozarts Sinfonie in g-moll hat ihm gefallen. "Ich mag es, wenn Elemente der klassischen Ballettsprache vorkommen", sagt er. Ganz moderne Choreografien liegen ihm weniger. Aber das könne ja noch kommen, meint er.

Beim Training in der Ballettschule steht Jeremy Green jetzt mit seinen Schülern an der Spiegelwand. Sie beugen die Oberkörper nach vorn, halten die Beine durchgedrückt, wippen sacht, um die Muskeln zu dehnen. "Es ist schade, dass so viele Jungen aufhören, weil sie in der Schule gehänselt werden", sagt Green, "dann spielen sie eben Fußball wie alle anderen, obwohl sie Talent zum Tanzen haben." Er selbst ist auch gepiesackt worden, als er Teenager war. "Da braucht man Stärke, aber vor allem Leidenschaft für das, was man tut", sagt er.

Es muss einen gepackt haben, so wie Kilian damals beim Fernsehen, als er sich gar nicht sattsehen konnte an den schönen Bewegungen. Heute wird er im Trainingszentrum von Martin Schläpfer zeigen, was er schon kann.

(dok)
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