Japan-Tag Alles Manga

Heute ist in Düsseldorf Japan-Tag, an der Rheinuferpromenade treffen sich dann auch wieder die Fans der japanischen Popkultur. Manga und Fernsehserien aus Japan sind hierzulande beliebt wie nie. Warum eigentlich?

Pommes mit Ketchup. Wer in den 90ern ein Kind war und schon Fernsehen gucken durfte, der denkt an Pommes mit Ketchup oder eine andere Leibspeise, wenn er sich an Sailor Moon, Son-Goku oder Mila Superstar zurückerinnert. Denn das waren die besten Tage: Schule aus, Mittagessen, noch mit vollem Magen rüber zum Nachbarsjungen und japanische Zeichentrickserien gucken. Die nämlich liefen im Nachmittagsprogramm und handelten von Son-Goku, der Hauptfigur aus der Serie "Dragon Ball", ein Junge mit Affenschwanz, der mit seinen Freunden viele Abenteuer bestehen muss. Oder von Sailor Moon, einer Kriegerin, die die Welt vor dunklen Kräften beschützt.

Das waren die Anfänge des Japan-Booms in Deutschland. Die Zeichentrickserien, genannt Anime, die ab Mitte der 90er Jahre vornehmlich im Privatfernsehen ausgestrahlt wurden, erreichten hierzulande erstmals ein Massenpublikum. Vor allem bei jungen Leuten nährten die Anime das Interesse an der japanischen Popkultur, das bis heute ungebrochen ist, ja, sogar immer weiter wächst. In Buchhandlungen stehen Manga, die japanische Form des Comics, heutzutage mindestens gleichberechtigt neben Asterix und Obelix, Lucky Luke oder den US-amerikanischen Superhelden-Formaten. Vielerorts nehmen die Manga mittlerweile mehr Regalmeter ein als die Konkurrenz aus dem Westen. Der Markt wächst kontinuierlich: Dem Forschungsinstitut GfK Entertainment zufolge ist der Absatz seit 2010 jährlich um mehr als zehn Prozent gestiegen. In Leipzig hat die Buchmesse den Manga schon vor Jahren eine eigene Halle eingerichtet - mit Extra-Eingang für die Leserschaft -, und die DoKomi, eine Fan-Messe in Düsseldorf, verzeichnete Anfang dieses Monats 31.000 Besucher an zwei Tagen in einem Kongresszentrum. Trotz einer erneuten Erweiterung habe man sich den Kapazitätsgrenzen genähert, sagt Veranstalter Benjamin Schulte. Als der Treff 2009 zum ersten Mal stattfand, damals in einer Schule und in einer Mehrzweckhalle, zählten die Veranstalter noch 1800 Besucher. In Japan, wo Manga und Anime ihre Ursprünge haben, sind sie seit Jahrzehnten ein Massenphänomen.

Es gibt Geschichtsschreiber, die in den Bildergeschichten buddhistischer Mönche im achten Jahrhundert die ersten Vorläufer von Manga erkennen wollen. Andere verweisen auf den Maler Katsushika Hokusai, der den Begriff "Manga" prägte und damit seine farbigen Holzschnitte bezeichnete. 1775 wurden solche Schnitte erstmals zu Heften gebunden, ab dem 19. Jahrhundert erschienen Zeichnungen in japanischen Zeitungen, die sich an westlichen Comics orientierten. Die Manga, so wie sie heute reißenden Absatz finden, sind allerdings sehr viel jünger. Nachdem der Zweite Weltkrieg die Entwicklung stoppte und Manga-Zeichnungen allenfalls zur Propaganda eingesetzt wurden, entwickelten sie sich erst nach Kriegsende weiter. 1947 erschien "Die neue Schatzinsel" von Osamu Tezuka, ein Manga, das sich an gängigen Abenteuerromanen orientierte und Hundertausende Mal verkauft wurde. Tezukas Vorbild: Walt Disney.

"In ihrer technischen Umsetzung sind Manga ursprünglich sehr stark von Disney beeinflusst", sagt Michiko Mae, Professorin am Institut Modernes Japan an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, "thematisch gehen die Manga aber weit darüber hinaus." Comic, das klinge für manche noch nach lustigen Bildergeschichten, sagt die Kulturwissenschaftlerin. "Manga aber thematisieren das menschliche Leben und die menschliche Welt in ihrer ganzen Komplexität." Für unbedarfte Leser erscheinen die großen dunklen Kulleraugen der Manga-Figuren stilprägend. Kenner schätzen die thematische Vielfalt der Bücher und das ambivalente Figurenpersonal. Im Manga werden Konflikte nicht nur mit dem Holzhammer gelöst. Viele Kämpfe sind innere.

In Japan gibt es Manga und Anime-Serien, die oftmals Adaptionen der Comics sind, zu jedem Thema und für jede Zielgruppe. Es gibt sie für Kinder und Senioren, es gibt Science-Fiction-Manga und erotische Manga, es gibt Banker- und Angestellten-Manga. In den 90ern waren auch hierzulande "Captain Tsubasa" und "Mila Superstar" beliebt, Anime über einen Fußball spielendenden Grundschüler und eine Volleyballerin. Es heißt, in Japan sollen ein Drittel aller Druckerzeugnisse Manga sein. Bis heute hält sich das Gerücht, dort würde für Manga mehr Papier benötigt als für Toilettenpapier.

In Manga werden auch gesellschaftliche Verhältnisse verhandelt, Geschlechterrollen etwa werden vermehrt diskutiert, schon die Kriegerin Sailor Moon verließ sich lieber nicht auf die Hilfe von Jungs. "Es wird versucht, neue Identitäten zu entwerfen", sagt Mae. Dem Börsenverein des deutschen Buchhandels zufolge sind übrigens 60 Prozent der deutschen Leserschaft weiblich. "In vielen Manga spielen auch Einsamkeit oder Zukunftsängste eine Rolle", sagt Mae, "auch deshalb sind sie für viele so faszinierend, weil nicht nur Helden-Geschichten erzählt werden."

Schon in den 50ern fand in den Manga eine "sehr ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Kriegsgeschichte" statt, sagt Mae. Die Reihe "Barfuß durch Hiroshima" erzählte von den Folgen des Atombombenangriffs auf Japan. Die Bücher, die heute als Manga-Klassiker gelten, erschienen 1973 erstmals in Japan und ein Jahrzehnt später auch in deutscher Sprache. Die Übersetzer stellte das anfänglich vor echte Probleme. Weil im Japanischen die Manga von hinten nach vorne und von rechts nach links gelesen wurden, spiegelte man jede Szene den hiesigen Lesegewohnheiten entsprechend. In "Akira", der ersten Manga-Reihe, die komplett ins Deutsche übertragen wurde, wurden die Hauptfiguren darum plötzlich alle zu Linkshändern. Das war 1991.

Mittlerweile ist die japanische Popkultur allgegenwärtig, sichtbar werden Manga und Anime heute wieder, wenn an der Düsseldorfer Rheinuferpromenade der Japan-Tag gefeiert wird. Wer im Internet das Wort "Manga" eingibt, findet an erster Stelle einen Treffer zum "Manga-Mädchen" Jamie-Lee Kriewitz. Die 18-Jährige trat vergangene Woche für Deutschland beim Eurovision Songcontest auf. Ihr puppenhaftes Aussehen hatte sie sich aus den Manga abgeschaut: Rock und Kniestrümpfe, Schulterklappen, schwarze Haare.

Cosplay heißt der Trend zum Kostüm, der sich aus den englischen Worten Costume, also Kostüm, und Play zusammensetzt. Es ist der Transfer in die Wirklichkeit.

Die Cosplayer verkleiden sich zu Anlässen wie dem Japan-Tag so wie die Figuren aus Manga, Anime oder Videospielen. "Ein großer Teil näht die Kostüme sogar selbst", sagt Benjamin Schulte. Bei der DoKomi gibt es klare Regeln: Waffen-Attrappen müssen stumpf sein, sonst droht eine Anzeige. Die "wochenlange Arbeit" präsentieren zu können, sei ein ebenso großer Spaß wie das Erlebnis, "sich in einem Charakter wiederzufinden", sagt Schulte. "Die Szene ist von einer großen Leidenschaft und auch Ernsthaftigkeit bestimmt", sagt Michiko Mae. "Dahinter steckt auch die Idee, die Identität der dargestellten Charaktere anzunehmen." Zugleich eignen sich die Rollenspieler die Figuren an, sie schreiben die Erzählungen aus den Büchern fort. Die Manga erleben also nicht bloß einen Boom. Sie werden zum Leben erweckt.

(kl)
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