Serie Luther und seine Sprache (7) Am Anfang war der Buchdruck

Der Reformator war nicht der erste Übersetzer der Bibel ins Deutsche, aber er war der sprachmächtigste. Unzählige neue Wörter und Redewendungen erfand er. Nützlich war ihm dabei mit Gutenbergs Erfindung auch ein neues Massenmedium.

 Mit Handschuhen blättert auf der Buchmesse Leipzig ein Mann in einer Lutherbibel von 1649, die im Original am "Bibelmobil" gezeigt wird.

Mit Handschuhen blättert auf der Buchmesse Leipzig ein Mann in einer Lutherbibel von 1649, die im Original am "Bibelmobil" gezeigt wird.

Foto: Jens Kalaene

Am Anfang der Reformation war das Wort. Und das Wort war bei Martin Luther. Und das Wort ist Buch geworden und fand Verbreitung sonder Zahl.

So oder so ähnlich wird die Geschichte von Luthers Glaubensrevolution erzählt, die nach dem Lehrsatz, dass allein die Schrift - das heißt die Bibel - maßgeblich für Fragen des Glaubens sei, weiteres angestoßen habe: ein neues Medienzeitalter wie auch ein neues Kapitel in der deutschen Sprache. 500 Jahre später herrscht die Einsicht: Diese dramatische Ursprungserzählung ist ein Mythos, und wie jeder Mythos arg verklärend und in manchen Punkten eben auch nicht ganz unwahr.

Fest steht, dass die Sprachgeschichte der Reformation mit einem heimlichen Guinnessbuch-Rekord beginnt: In nur elf Wochen übersetzt Martin Luther auf der Wartburg das Neue Testament ins Deutsche - für das Alte Testament wird er später 13 Jahre brauchen. Seine Übertragung der Heiligen Schrift wird ein Bestseller. Im September 1522 erscheint die erste Auflage mit 3000 Exemplaren, die im Dezember schon vergriffen ist. Dass die erste Übersetzung vielleicht zu schnell auf den Markt kommt, lässt sich auch daran ablesen, dass für die zweite Auflage fast 600 Verbesserungen nötig und eingearbeitet werden.

Der Verkaufserfolg ist vielleicht dem namhaften Übersetzer geschuldet, wesentlich auch seiner Sprachmacht, auf keinen Fall aber dem Umstand, dass die Evangelien nun auf Deutsch zu lesen sind. Denn bevor sich Luther auf der Wartburg ans Werk macht, waren schon 18 gedruckte Bibelübersetzungen erschienen - 14 ins Hochdeutsche, vier ins Niederdeutsche. Luther ist also keineswegs der erste, aber er ist zweifelsfrei der beste, wortgewaltigste und überzeugendste Autor.

Luthers Vorteil: Während seine Vorgänger sich für ihre Übersetzung bei der "Vulgata" bedienten, einer lateinischen, mitunter ungenauen Bibelübersetzung, greift Luther zur griechischen Urfassung. Er ist damit näher bei den Quellen und im Geiste auch näher bei den Lesern. Luther will gelesen und nicht akademisch hofiert werden. Mit seinen Worten heißt das: "Man muss die Mutter im Haus, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und danach dolmetschen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet."

Natürlich ist das ein hybrider Ansatz, angesichts der dürftigen Lesefähigkeit damals auch alle einfachen Leute zu erreichen. Und wahrscheinlich ist es so wörtlich auch nicht gemeint, wie wir es heute gerne lesen. Luthers Übersetzungsarbeit ins Deutsche entspricht mehr seinem Konzept des allgemeinen Priestertums.

Wichtig aber ist und bleibt der Ansatz: Luther richtet sich nicht sklavisch an den Ausgangstext, vielmehr arbeitet er zielorientiert. Der Reformator will wirken, will das Evangelium verbreiten mit der Kraft seiner Sprache. Und die ist enorm: Luther erfindet neue Wörter, er wird poetisch, wo es nötig erscheint und wortspielerisch und reimbildend, wo es sinnvoll oder möglich ist. Lang ist die Liste seiner bis heute gültigen, also gebräuchlichen und geflügelten Wortschöpfungen, Wortpaare, Sprichwörter - wie Fleisch und Blut, Milch und Honig oder Mark und Bein. Martin Luther "erfindet" das Lästermaul und den Lückenbüßer, den Schandfleck und den Lockvogel, die Gewissensbisse, den Sündenbock, die Gotteslästerung und das Machtwort. Seit und mit Martin Luther wissen wir auch, was es heißt, Perlen vor die Säue zu werfen und die Zähne zusammenzubeißen, was der Wolf im Schafspelz ist und ein Herz und eine Seele sein kann.

Immer bleiben seine Worte lebensnah; sein Deutsch wird stilbildend, und das für Jahrhunderte. Freilich hat Martin Luther die deutsche Sprache weder erfunden noch aus der Taufe gehoben; aber er hat sie ordentlich genährt und damit ihr Überleben und ihre Etablierung gesichert. Jacob Grimm wird 1822 rühmen, dass Luthers Sprache "in ihrer edlen, fast wunderbaren Reinheit, für Kern und Grundlage der neuhochdeutschen Sprachniedersetzung gehalten" wird.

Diese Sprache braucht ein Medium, und wenn sie im Volk wirken will, am besten gleich ein Massenmedium. Und das gibt es seit Mitte des 15. Jahrhunderts, also seit etwa 70 Jahren: Gutenbergs Buchdruck-Verfahren mit beweglichen Lettern. Mit dem Mainzer Erfinder wird das Tor zu einem neuen Kommunikationszeitalter geöffnet; und Luther wird einer der ersten sein, der es voller Tatendrang und Überzeugung durchschreitet.

Die Reformation trifft auf eine technische Weltneuerfindung - und beide profitieren davon: Die Gedanken Luthers und seiner Mitstreiter treten in die Welt, und das Druckverfahren gewinnt auch dadurch rasant an Bedeutung. Der Theologendisput um die Thesen Martin Luthers kurbelt das Geschäft ordentlich an: Zwischen 1520 und 1525 kommen in deutschen Druckereien über 7000 Auflagen von Büchern heraus; das ist mehr als doppelt so viel wie im gesamten Jahrzehnt zuvor.

Das neue Medium ist sehr nach Luthers Geschmack, er erkennt die Zeichen der Zeit und setzt auf die neue Möglichkeit. Auch in seinen Tischreden weiß er das zu würdigen: "Die hohen Wohltaten der Buchdruckerei sind mit Worten nicht auszusprechen. Durch sie wird die Heilige Schrift in allen Zungen und Sprachen eröffnet und ausgebreitet, durch sie werden alle Künste und Wissenschaften erhalten, gemehrt und auf unsere Nachkommen fortgepflanzt."

Das Medium ist neutral und verbreitet Schriften ohne Unterschiede. Und so profitiert zumindest in den Anfängen von Luthers Wirken nicht nur die Reformation von Gutenbergs Erfindung. Spitzenreiter in den ungeschriebenen Bestsellerlisten sind - trotz guter Verkaufszahlen - zunächst nicht die Bibelübersetzungen, sondern ausgerechnet die Ablassbriefe.

(los)
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