Interview mit Anne-Sophie Mutter "Ich lebe im Fortissimo"

Düsseldorf · Ein Leben ohne Musik kann nur ein Leben im Irrtum sein. Unter diesem Leitspruch ist die Geigerin Anne-Sophie Mutter (51) zu dem geworden, was sie heute ist: ein Star auf internationalen Podien, ein Liebling des Konzertpublikums und eine Förderin des Spitzennachwuchses.

 Anne-Sophie Mutter achtet auf das Tempo in der Musik und im Leben.

Anne-Sophie Mutter achtet auf das Tempo in der Musik und im Leben.

Foto: BREUEL-BILD

Mutter kämpft dafür, den Radius und die Wirkkraft klassischer Musik noch zu erweitern. Die gebürtige Badenerin, Mutter von zwei großen Kindern (Arabella und Richard), ist Witwe von Detlef Wunderlich und André Previn. Sie lebt in München und Österreich. Vor ihrer Tournee, die sie auch nach Düsseldorf führen wird, telefonieren wir kurz vor dem Abendessen.

Wo erreiche ich Sie?

Anne-Sophie Mutter Ich bin in Österreich beim Studieren.

Das heißt, Sie üben?

Mutter So ist es.

Bald sind Sie in Düsseldorf. Woran denken Sie, wenn Sie hier sind?

Mutter Ich komme seit über 30 Jahren in die Stadt von Schumann und Brahms. Düsseldorf ist schon fast eine musikalische Heimat.

Gibt es etwas, das Sie heute, Anfang März, besonders bewegt?

Mutter Wenn man die Nachrichten liest, kann einem schon das Grauen den Rücken hinunterlaufen. In solchen Zeiten, so glaube ich, ist Musik wichtiger denn je als kulturelle Plattform für den individuellen Austausch. Auch neue Konzertsäle sind wichtiger denn je, denn es sind die besten Stätten der Begegnung — hier sind die Menschen frei von jeglichen Vorurteilen.

Starke Bekenntnisse im Konzertsaal!

Mutter Die ethische Haltung eines Musikers ist wichtig, die wird er zweifelsohne im Konzertsaal demonstrieren. Und die Einordnung der Musik als etwas, das weit mehr bedeutet als etwa ein luxuriöses Hobby, ist mindestens ebenso wichtig. Weil Musik zur spirituellen Welt gehört, die eine Plattform bietet, auf der niemand ausgegrenzt wird. Die Musik ist eine einzigartig verbindende Kraft.

Hat Ihr Einsatz für den Münchner Musiksaal etwas gebracht?

Mutter Der Prozess der Urteils- und Wahrheitsfindung ist noch nicht zu Ende. Man sieht voller Erstaunen, wie viele Menschen sich für einen zusätzlichen Saal engagieren. Und man sieht auch: Es geht nicht nur um München oder um ein regionales, bayerisches Problem. Wenn München fällt, dann fällt eigentlich die deutsche Kultur. Tatsächlich hat eine solche Entscheidung international Signalwirkung.

Sie sind eine von Deutschlands populärsten Künstlerinnen, und Sie fördern mit Ihrer Stiftung junge Talente. Warum machen Sie Ihren Einfluss auf Politiker nicht noch stärker geltend in dem Sinne, dass mehr getan wird für die musische Erziehung im deutschen Schulsystem?

Mutter Sie können mir glauben, ich mache so viel politischen Druck, wie mir möglich ist, aber das findet natürlich nicht alles in der Öffentlichkeit statt. In den politischen Prozessen besteht immer auch die Gefahr, dass man parteipolitisch vereinnahmt wird. Davor bin ich bisher zurückgeschreckt. Der einzige Weg ist: Man könnte letztlich überlegen, ob man seine Seele an den Teufel verkauft, aber bisher konnte ich mich dazu nicht durchringen.

Daher noch mehr Stiftungsarbeit?

Mutter Ich versuche, mit meiner Stiftung einen Teil dessen abzudecken, was die Politik nicht leistet. Während ich im Stillen immer noch am Grundschul- und Kindergartenprogramm herumdoktere, versuche ich mit der Stiftung eine Art Botschafter auszubilden. Diese jungen Musiker sind Leuchttürme für die nächste Generation. Es geht ja nicht allein darum, mehr Musiker auszubilden, sondern ich betrachte sie als Goodwill-Botschafter, die diesen Funken, diese zweite olympische Flamme, durch die Welt tragen und sich gleichzeitig ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind.

Als Künstlerin haben Sie alles erreicht. Gibt es noch Träume?

Mutter Darüber habe ich mich gerade noch mit meinen Kindern unterhalten. Ich halte es mit Karajan und sage: Wer glaubt, alles erreicht zu haben, hat seine Ziele wahrscheinlich zu niedrig gewählt. Ich habe sie nicht niedrig gewählt, weder künstlerisch noch menschlich.

Gerade bereiten Sie sich auf eine Tournee vor. Wie üben Sie?

Mutter Ich muss ständig Repertoire reaktivieren und neu studieren. Jedes Werk verlangt einen anderen Zugang, stellt einen vor andere Probleme und muss individuell erarbeitet werden.

Wie viele Stunden muten Sie sich täglich zu?

Mutter Das ist sehr unterschiedlich. Ich sage ja auch studieren, was nicht unbedingt üben heißt. Ich betreibe Quellenstudium, lese über das Werk und den Komponisten oder über Dinge, die vielleicht ein Anreiz waren, das Werk zu schreiben. Ich studiere die Partituren und richte meine Fingersätze ein. Es ist ein fließender Prozess, der sich nicht in Stunden erfassen lässt.

Wie kommen Sie in den Flow, um auf der Bühne überzeugend zu sein?

Mutter Der Flow an sich ist nicht das Ziel. Der Flow stellt sich ein, wenn man in der perfekten Symbiose des Dialoges ankommt. Alles ist eins: der Musiker, der Raum, das Publikum — und dann ist der Flow fast die logische Konsequenz daraus.

Sind Sie dann am glücklichsten?

Mutter Es ist schon ein ganz tolles Gefühl. Aber ich bin ein leicht zufriedenzustellender Mensch. Mir reicht auch schon der Blick auf einen Sonnenberg. Und wenn es regnet, ist es auch gut. Ich glaube, die Kunst des Lebens ist, dass man es schafft, so oft wie möglich, also mehrmals täglich, Schönheit in irgendetwas zu sehen.

Haben Sie auch schon mal vor irgendetwas Angst, wenn Sie auf der Bühne stehen?

Mutter Nein. Das Leben ist eine große Herausforderung. Und in meinem Leben — auch auf der Bühne — hat nicht immer die Sonne für mich geschienen. Es ist nicht so, dass mir immer alles gelänge. Aber Angst ist einfach keine Option für mich. Wenn ich Angst habe, muss ich sie besiegen. Es gibt für mich nur einen Weg, und der geht nach vorne.

Wenn die Geige eine Blume wäre im Beet der Instrumente, wie würden Sie ihren Ton beschreiben?

Mutter Die Geige ist nicht nur eine Blume oder ein Baum. Sie ist einfach alles. Ich liebe den Geigenklang wie auch den Celloklang. Physisch war für mich die Geige das attraktivere Instrument, vielleicht weil ich den Silberklang des Sopranregisters liebe. Aber jedes Streichinstrument hat diese Fähigkeit des Erblühens und Erklingens in einem Bogenstrich.

Man sagt immer, Karajan habe Sie gefördert. Von welchem Künstler — Lehrer, Dirigent oder Begleiter — haben Sie am meisten gelernt im Leben?

Mutter Man lernt von allen, und man lernt oft gerade von den Dingen, die man nicht versteht oder ablehnt, gerade weil man sich in der Abwehr besonders stark mit etwas beschäftigt. Das Leben ist ein enormer Lehrer, man lernt von seinen Kindern, ich glaube, dass das alles bei mir seinen Niederschlag findet. Es sind nicht nur die musikalischen Partner, die im Repertoire halfen, klarer zu sehen, anders zu denken, offener zu denken. Ich glaube, dass bei all diesen Prozessen immer der Mensch durchscheint.

Ist das Alter ein Thema für Sie, seit Sie die magischen 50 überschritten haben?

Mutter Ich habe in meinem Leben Menschen nie nach Alter oder nach anderen Äußerlichkeiten eingeordnet, deshalb sind die 50 für mich nicht zwangsläufig eine Schwelle, bei der ich in Panik verfalle. Solange mein Köper mir Gesundheit schenkt oder sie bewahrt, plane ich als Mensch und als Musiker eifrig vor mich hin. Natürlich ist man als Musiker ein bisschen wie ein Athlet darauf bedacht, dass man sich nicht mit Gift vollpumpt. Dann ist der Körper nämlich nicht fit, der Geist wird träge, und so kann man auch nicht auf die Bühne gehen. Im Übrigen gilt aber auch: Alter ist kein Verdienst. Es ist irgendwann eine große Herausforderung, nämlich dann, wenn das große Diminuendo des Körpers und des Geistes einsetzt. Aber noch bin ich weit davon entfernt. Ich lebe im Fortissimo.

Wie halten Sie sich fit?

Mutter Ich bin ein Bewegungsmensch und halte mich auf allen Gebieten fit, die ich ohne Verletzungsgefahr ausüben kann. Ich bin sehr viel an der frischen Luft, weil ich zwei kleine Hunde habe. Wenn ich nicht joggen kann, gehe ich in das Fitnessstudio.

Sind Sie eigentlich eitel?

Mutter Als Musikerin überhaupt nicht, als Frau sicher ja. Aber in Maßen. Für mich kämen irgendwelche invasiven Eingriffe nicht in Frage. Ich persönlich steh' zu mir, und wen meine Falten im Gesicht stören — das ist nicht mein Problem!

Jetzt habe ich Sie lange genug vom Studieren abgehalten. Wie geht Ihr Tag heute zu Ende?

Mutter Mit einem schönen Abendessen mit meinen Kindern. Bei uns gibt es heute Tafelspitz. Ich koche gerne einfache Hausmannskost, und natürlich lieben wir es italienisch. Am Ende des Tages ist ein Teller voller Pasta doch immer ein Sonnenschein.

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