Düsseldorf Anwalt der Globalisierungs-Verlierer

Düsseldorf · Der Soziologe Zygmunt Bauman ist tot. Bis zuletzt schrieb er über die Zumutungen der "flüchtigen Moderne".

In diesen Zeiten sind Menschen besonders nötig, die sich besonnen zu den sozialen Spannungen in Europa und der Welt äußern. Analytiker, die sich von akuten Ereignissen und all den kurzatmigen Reaktionen darauf nicht in die Panikmache treiben lassen, sondern beharrlich nach den Zusammenhängen fragen, nach den Ursachen für Flüchtlingsbewegungen etwa. Oder nach den Ursprüngen der Ohnmachtsgefühle in der "flüchtigen Moderne", die Menschen dem freien Spiel ökonomischer Kräfte aussetzt und immer mehr Ausgegrenzte produziert.

Darum macht der Tod des Philosophen und Soziologen Zygmunt Bauman traurig. Im Alter von 91 Jahren ist er jetzt in Leeds gestorben. Bis zuletzt hat Bauman die Phänomene der Moderne mit seinen wohltuend klaren Worten beschrieben, hat gedanklich geordnet, analytisch durchdrungen, was seine Zeitgenossen bedrängt, und gegen die Gleichgültigkeit angeschrieben. Nun hinterlässt er uns Sätze wie diesen: "Die Politik wechselseitiger Abschottung, die Mauern statt Brücken baut und auf schalldichte Echokammern statt auf leistungsfähige Verbindungen für eine ungestörte Kommunikation setzt, führt nirgendwo anders hin als in das Brachland des gegenseitigen Misstrauens, der Entfremdung und der Verschärfung der Lage."

Bauman war Mahner, aber kein Prediger. Er hat nie appelliert, beschworen, sondern hergeleitet, hat in bestechend präziser Sprache dargelegt, wie die Moderne den Menschen nötigt, sich in vielen Lebensbereichen flexibel zu zeigen, wie der Kapitalismus ihn erzieht, alles wie Ware zu behandeln, selbst menschliche Beziehungen, und wie aus diesen scheinbar alternativlosen Entwicklungen Ohnmacht erwächst, Gier, das Bedürfnis sich abzugrenzen - gegenüber Schwächeren, Fremden, Migranten.

Bauman hatte zwei Lebensthemen: die Entstehung des Holocausts und die Mechanismen des Kapitalismus. Bauman hat beschrieben, wie das globale Wirtschaften weltweit überflüssige Menschen hervorbringt, moderne Nomaden, die sich auch in Zukunft nicht aufhalten lassen werden, ihrer Chancenlosigkeit zu entfliehen. Und er hat gezeigt, wie Regierungschefs Unsicherheitsgefühle in der Bevölkerung nutzen, um etwa nach Terroranschlägen Stärke zu demonstrieren und von der eigenen Ohnmacht etwa gegenüber dem unaufhaltsamen Auseinanderdriften der Klassen. Zugleich erlöst das die Bürger der Wohlstandsgesellschaft von ihrem schlechten Gewissen: mit potenziellen Terroristen müssen sie kein Mitleid mehr haben.

Bauman war ein Anwalt derer, die wir Globalisierungsverlierer nennen. Nicht nur der Flüchtlinge, auch der Arbeitslosen, der sozial Stigmatisierten. Und genauso der Leistungsträger, die in die Spirale aus Konkurrenzdruck und Selbstausbeutung geraten und ein entfremdetes Dasein führen, verbrämt durch die Annehmlichkeiten der Konsumwelt.

Am eigenen Leib hat Bauman erfahren, wie Ausgrenzung funktioniert. 1925 in Poznan in Westpolen geboren, floh er mit seiner jüdischen Familie vor der deutschen Besatzung in die Sowjetunion. Zum Studium kehrt er nach dem Krieg nach Polen zurück, floh 1968 vor den neuen antisemitischen Hetzkampagnen nach Israel und folgte 1971 dem Ruf an die britische University of Leeds. Dort hat er auch nach seiner Emeritierung als Publizist gewirkt, hat mehr als 50 Bücher geschrieben, zuletzt den Essay "Die Angst vor den anderen".

Bauman hat kein philosophisches Denkgebäude errichtet. Er hat die Erkenntnisse großer Vordenker von Kant über Marx bis Foucault auf die Gegenwart angewandt. Er war ein Vermittler. Einer, der in die Echokammern hineinrief, gegen die Grausamkeit der Gleichgültigkeit kämpfte. Bauman wird fehlen.

(dok)
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