"Der zehnte Sommer" - Zwischen Kittelschürze und Petticoat
Frankfurt/Main (rpo). Noch ist es die beste aller Welten, die Kalli Spielplatz bewohnt. Gerade hat Kalli seinen neunten Geburtstag gefeiert und fühlt sich pudelwohl in seinem "Reich", einer niederrheinischen Kleinstadt. "Der zehnte Sommer" seines Lebens beginnt verheißungsvoll...Wie ein König kommt er sich vor mit seinen Geschenken, einem Roller, einem Trappermesser und einem Abziehbild auf dem Arm, das er sich am Kiosk kaufen durfte. Zur Feier des Tages hat ihm seine Mutter einen "Frankfurter Kranz" gebacken. Dass er doch nicht alles königlich im Griff hat, wird er in diesem Sommer zum ersten Mal merken. Die Verfilmung eines erfolgreichen Kinderromans von Dieter Bongartz, der auch das Drehbuch schrieb, lebt von seiner vordergründig beschaulichen Atmosphäre, die liebevoll mit den Details eines Kinderlebens zu Beginn der sechziger Jahre ausgestattet ist. Das lässt heutige Kinder staunen - "Was? Kleine Jungs haben früher kurze Lederhosen getragen und Mütter Kittelschürzen?" - und hat für Erwachsene einen hohen nostalgischen Reiz. Das ist aber zugleich ein Problem: Das verdruckste Biedermeier der Zeit kann diese Kinderkomödie zwar vorführen, aber nicht wirklich überwinden, was man auch im Tempo merkt. Gaaanz langsam und umständlich schreitet die Handlung voran, um am Schluss mit einer plötzlichen dramaturgisch ungeschickten Volte zu überraschen, die schwer nachvollziehbar ist und auch nicht erklärt wird. Kalli, der in einer fernseh-, computer- und relativ autolosen Zeit aufwächst, beschäftigt sich in den Sommerferien mit drei Dingen: Einmal will er mit seinen Freunden Polli und Walter einen Zoo gründen und bunkert im Keller Spinnen, Würmer und ähnliches Getier, was allerdings die Kids selbst nicht prickelnd genug finden. Dann bekommt er vom dubiosen Vater eines Freundes eine Meerkatze geschenkt. Super! Bleibt allerdings Kallis zweite Sorge, das Rätselraten über seine Nachbarinnen Almut, Bettina und Christel Hilfers, drei kokette Schwestern mit Petticoat und Lippenstift, die von den Nachbarsfrauen und besonders Kallis Mutter Elvira mit Argusaugen beobachtet werden. Wieso geht sein Vater zu ihnen? Und dann ist da als drittes Thema die kleine Franzi, in die Kalli heimlich verknallt ist und dessen hysterische Mutter keine Gelegenheit auslässt, Kalli unsittlicher Dinge zu bezichtigen, die der Junge nicht versteht. Bis zum Schluss die drei Probleme ihre überraschende Lösung finden, hat Kallis Idylle breite Risse bekommen. Kalli findet heraus, dass Erwachsene nicht alles besser wissen, und muss lernen, eigene Wege zu gehen. Das tut er mit Hilfe der drei jungen Frauen, die sich statt als gefährliche Hexen als vertrauenswürdige Feen erweisen. Kinderperspektive der frühen SechzigerDer Film behält allerdings die Kinderperspektive der frühen Sechziger bei und enthüllt kaum mehr über die drei geheimnisvollen Hilfers, als dass sie das lebenslustige Gegenbild zum umgebenden Spießertum bilden müssen - steter Stein des Anstoßes im bigotten Kleine-Leute-Mief, in dem das Wirtschaftswunder noch nicht recht angekommen ist, mit seinen Streiflichtern über einen engstirnigen Priester, der das Beichtgeheimnis bei kleinen Jungs nicht achtet, und über biergeschwängerte Skatrunden in der Kneipe, bei denen Kallis naiver Vater geschäftlich über den Tisch gezogen wird. Was verbindet den Kriegsversehrten mit der lockeren Almut Hilfers? Der Film lässt die Frage offen, was mutig, aber ziemlich unbefriedigend ist. Sehenswert sind neben der betörenden Erika Marozsán als Almut alle erwachsenen Darsteller, und man freut sich, auch Katharina Böhm als resignierte Mutter Elvira wieder einmal auf der Leinwand zu sehen. Ausgerechnet der kindliche Held Kalli (Martin Stührk) jedoch kann mit seinem entweder lächelnden oder traurigen Gesicht nicht recht überzeugen und wirkt etwas steif. Insgesamt befindet sich "Der zehnte Sommer" im Dilemma vieler neuer deutscher Kinderfilme, die entweder mit ruppiger, forcierter Sozialkritik nerven oder schön ausgestattet, aber allzu betulich sind. Beide Sorten scheinen vor allem Erwachsene anzusprechen, die zwischen Nostalgie und Frust hin- und hergerissen sind, und so erinnert auch dieser Film an teures, museales Holzspielzeug, das Erwachsene entzückt, während Kinder grelles Plastik vorziehen würden. Ein bisschen mehr Temperament und Aberwitz statt besonnter Erinnerung hätten dem "Zehnten Sommer" gut getan.