Aus dem Leben eines Taugenichts

Ingo Schulze träumt sich mit einem Schelmen-Roman die DDR schön

Ob realsozialistische Diktatur oder freiheitlicher Turbokapitalismus: An einem Typen wie Peter Holtz, dieser grinsenden Verkörperung von lustlosem Mitläufertum, scheitert auf Dauer jedes politische System. Alles ist diesem überzeugten Tunichtgut schnuppe. Hauptsache, man lässt ihn in Ruhe seinen wankelmütigen Weg gehen. Warum also sollte er nicht Mitglied der SED sein und später zur CDU wechseln? Und kann man nicht als Stasi-Spitzel lustige Verwirrspiele anzetteln? Warum sollte jemand, der dem Kommunismus verfallen war und das Geld abschaffen wollte, sich nicht nach dem Mauerfall durchs politisch verminte Gelände schlängeln und eine Karriere als Kunst-Verkäufer und Immobilienhai hinlegen?

Mit "Peter Holtz. Sein glückliches Leben, erzählt von ihm selbst" hat Ingo Schulze einen Simplicissimus des Ostens erfunden. Das Thema ist bei dem 1962 in Dresden geborenen und seit Langem in Berlin lebenden Autor nicht neu. In fast allen seinen Büchern ("Simple Storys", "Neue Leben", "Adam und Evelyn") umkreist er sein Trauma. Denn Schulze gehört, wie Christa Wolf und Heiner Müller, zu jenen DDR-Intellektuellen, die lieber ihr marodes System ein bisschen mit Freiheitsrechten aufgehübscht und den Sozialismus bewahrt hätten, als sich von der Bundesrepublik umarmen und erdrücken zu lassen. Politischer Schnee von gestern, der unzählige Male beschrieben worden ist. Doch diesmal versucht es Ingo Schulze mit einem Schelm, der Ideologen auslacht und Politikern die Zunge zeigt.

Peter Holtz, eine Mischung aus Till Eulenspiegel und Forrest Gump, unternimmt alles, um ins Abseits gestellt zu werden, und fällt doch immer wieder auf die Füße. Und wenn mal was richtig schief läuft, zieht er sich wie Münchhausen selbst aus dem Sumpf. Weil seine Eltern nach dem Mauerbau in den Westen abhauen, wird er zum Waisenkind, wächst im Heim und später bei Pflegeeltern auf. Als Jugendlicher taucht er in der Künstler- und Dissidenten-Szene Ostberlins unter. Er erfindet nebenbei den DDR-Punk und lässt sich, weil es nun mal nicht anders geht, mit der Stasi ein. Wichtiger ist ihm ein williges schönes Mädchen und ein ordentlicher Orgasmus. Als die Mauer fällt, sorgt er sich um seine Privat-Idylle. Doch weil alle ihn lieben und ihm das Geld hinterherwerfen, dreht er im neuen Deutschland am großen Rad, sammelt Kunst, Aktien und Häuser wie andere Briefmarken. Zum Problem des Träumers wird es, wie er den Reichtum, für den er keinen Finger krümmte, wieder los wird.

Peter Holtz ist eine absurde Figur und ein von Dauerwitzelei getriebener Erzähler. Das ist unterhaltsam und oft recht subversiv. Aber eigentlich tut der unnötig ausufernde Roman niemandem weh. Dass der Kapitalismus die Menschen ausbeutet und verblödet: geschenkt. Aber dass die DDR nur ein lächerliches Monster und die Diktatur ein niedliches Kuscheltier gewesen sein soll, mit dem man neckische Spielchen treiben konnte, glaubt Ingo Schulze hoffentlich nicht im Ernst.

(RP)
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