Aus Straßburg nach Boston

RCA porträtiert den Dirigenten Charles Munch in einer opulenten Box.

Als könne man sich einen Wunschdirigenten backen! Das zumindest suggerierte vor vielen Jahren der New Yorker Broadway-Autor Moss Hart: "Man nehme einen großen Teil solidesten Handwerks, füge zwei Spritzer internationale Eleganz vom besten Jahrgang hinzu, gebe eine Prise gallischen Humors hinein, lasse das Ganze in Jahren der Erfahrung reifen, und man erhält Charles Munchs innerstes Wesen."

Wenn es denn so einfach wäre. Denn Charles Munch, 1891 im damals deutschen Straßburg geboren, war ein Spätberufener. Studiert hat Münch, wie er zunächst hieß, unter anderem bei Hans Pfitzner, gekämpft hat er im Ersten Weltkrieg an der deutschen Front, Geige gespielt hat er unter anderem im Leipziger Gewandhausorchester unter Furtwängler und Bruno Walter. 1919 wird er französischer Staatsbürger, doch erst 1932 - mit 41 Jahren! - steht er erstmals als Dirigent vor einem Orchester. Zwanzig Jahre dauert es, bis er beim Boston Symphony Orchestra debütiert. 1949 wird er dort Chef und bleibt es bis 1962. Als er im Herbst 1968 stirbt, hat er rund 1500 Konzerte geleitet.

Munch war ein ruhiger Vertreter, introvertiert, auch in seinen Gesten am Pult, kein Zampano. Sein Amt übte er auf fast priesterliche Weise aus, selbstdiszipliniert, fleißig, enthaltsam, demütig. Ihm gelang, wonach andere Dirigenten oft vergeblich gerungen haben - die mühelose Verbindung von Präzision und Emotion, und das Ganze französisch gefärbt, also mit einer gewissen Noblesse und Eleganz.

Kein Wunder, dass die größten Solisten seiner Zeit sich ihm anvertrauten, Heifetz, Menuhin, Milstein, die Pianisten Rubinstein und Richter, Piatigorsky am Cello und sogar Benny Goodman. Wer diesen großen Künstler und Munchs amerikanische Jahre kennenlernen möchte, kommt an der Edition "Charles Munch - The Complete RCA Album Collection" nicht vorbei, ein Köfferchen mit 86 CDs, alle in platzsparenden Pappdeckeln, aber mit detailgenauen Angaben im 160-Seiten-Beibuch. Eine Box, die voller Überraschungen steckt. Man braucht nur die Eröffnung zu Johannes Brahms' zweiter Sinfonie zu hören. Das vermeintlich Ernst-Schwere klingt bei ihm wunderbar walzerartig!

In Bachs Brandenburgischen Konzerten knirschen die harmonischen Reibungen auf fast moderne Weise. Und erst die französischen Komponisten. Sie waren Munchs Stärke. Debussys Meisterwerke hat er mehrfach aufgenommen, und sein Einsatz für die - damals wie heute - unterschätzte Musik von Hector Berlioz, jenseits der "Symphonie fantastique", ist maßstabsetzend. Die "Faust"-Musik, "L'Enfance du Christ" und das monumentale Requiem verraten eine Raffinesse, die bei volltönenden Tutti oft übersehen oder zermalmt wird. Ein Dirigent, wie gebacken. Rezept siehe oben.

Info Charles Munch - The Complete RCA Album Collection; RCA 86 CDs 88875169792

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort