Ballade vom Leben in der Schwebe

Die tragische Großstadt-Komödie "Frances Ha" dürfte ihre Hauptdarstellerin endlich auch in Deutschland zum Star machen: Die 29-jährige Greta Gerwig gilt in den USA bereits als maßgebliche Schauspielerin ihrer Generation.

Greta Gerwig ist so großartig, weil sie nicht spielt, sondern einfach da ist, weil sie als Stellvertreterin des Zuschauers in die Szenerie geworfen wurde und dort die Zumutungen erträgt, die sich Drehbuchautoren für sie ausgedacht haben. In "Frances Ha", ihrem neuen Film, ist sie eine Tänzerin, die sich durch kleine Jobs über Wasser hielt, doch nun ist die Not so groß, dass sie das WG-Zimmer aufgeben muss, wenn sie die Rolle in der Weihnachtsaufführung ihrer Compagnie nicht bekommt. Man muss sich Gerwigs Gesicht ansehen, in dem Moment, da sie erfährt, dass es nichts wird mit dem Engagement, diese Mimik, hinter der man dem Groschen beim endlosen Fallen zu sehen meint. Gerwig wirkt wie ein Symbol für das Leben im Komparativ, für eine Welt, in der jeder kreativer, findiger und risikobereiter sein muss als die Konkurrenz.

Greta Gerwig ist 29 Jahre alt, und in Amerika gilt sie längst als Star: Als "maßgebliche Leinwandheldin ihrer Generation" wurde sie neulich in der "New York Times" bezeichnet. Hierzulande dürfte man nach "Frances Ha" endlich eine Ahnung davon bekommen, warum das so ist. Gerwig spielt die Titelrolle, und sie schrieb mit Regisseur Noah Baumbach das Drehbuch. Es geht um eine Frau, die mit 27 Jahren feststellt, dass alle erwachsen geworden sind, nur sie nicht. Bisher taumelte sie irgendwie durch das Leben, irgendwer war immer in der Nähe, sie war selten allein. Aber als die beste Freundin mit ihrem Verlobten nach Japan geht, scheint sie die Zugehörigkeit zu verlieren, die Kenntnisse jener Codes, über die Gleichaltrige sich definieren, das Bewusstsein für sich selbst, das Gefühl der Geborgenheit. Quarterlife Crisis.

Auch räumlich wird Frances immer weiter abgedrängt, New York wird zum Spiegel der Existenz. Frances zieht um von Chinatown nach Brooklyn nach Poughkeepsie, weit weg vom Zentrum, und die Koketterie mit dem Leben der Boheme geht allmählich über in reale Armut. Das ist ein skizzenhafter Film, dessen Ziel es ist, Gegenwart abzubilden, möglichst ungeschützt und unmittelbar. Der Film funktioniert wie ein Bilderbuch, wie eine Zeitschrift, man schaut ihn sich an und hat direkten Zugriff auf die Lebenswirklichkeit bestimmter Menschen. Dass er in Schwarzweiß gedreht wurde, wirkt zunächst wie eine etwas prätentiöse Hommage an Woody Allens "Manhattan", bald aber erweist sich dieses Verfahren als besonders geeignet, um die Trostlosigkeit, die die Hauptfigur befällt, zu vermitteln. Man kann der Farbe dabei zusehen, wie sie aus diesem Leben verschwindet.

Gerwig ist der Gegenentwurf zu Lena Dunham, der Autorin und Hauptdarstellerin der amerikanischen TV-Serie "Girls". Dunham und ihre Freundinnen kokettieren zwar mit dem Prekären; im Hintergrund stehen jedoch stets Eltern, die das Blackberry bezahlen, die Miete für das Apartment in Williamsburg, das informierte Leben. Gerwig wird mitunter mit der frühen Michelle Williams verglichen, und tatsächlich gibt es Parallelen. Auch sie hat etwas Schlafwandlerisches, Engelhaftes. Um ihren Kopf steht eine Wolke aus Schwermut, und ihre Augen nehmen die Körper anderer Menschen womöglich nur als Fragezeichen wahr. Wobei sich im Falle Gerwigs die schwebende Distanziertheit im Verlauf der Handlung auflöst: Am Ende stehen ihre Figuren stets als patente Entscheiderinnen da. So ist es in ihren frühen Arbeiten, die unter dem Sammelbegriff "Mumblecore" zusammengefasst werden. Deren Stilprinzipien sind die improvisierten Abläufe, die auf verwackelte Bilder genuschelten Dialoge und das Thema: Es geht in der amerikanischen Nouvelle Vague und ihren mit winzigen Budgets realisierten Produktionen um das Leben in der Gegenwart, die Ratlosigkeit und Überforderung, aber auch die Komik, die sich aus dem Staunen über den Alltag ergibt.

Die Heldinnen Gerwigs wirken mitunter passiv, geworfen in die Zusammenhänge. Berühmt wurde sie vor drei Jahren. Damals spielte sie an der Seite von Ben Stiller in "Greenberg". Regisseur Noah Baumbach hatte sie zuvor gesehen, er war begeistert von ihrem Spiel, besetzte sie für diesen Film und verliebte sich in seine Hauptdarstellerin – für die er schließlich seine Ehefrau, die Schauspielerin Jennifer Jason Leigh, verließ. "Greenberg" ist eine Studie über Orientierungslosigkeit, ein pessimistischer Versuch über träge Menschen in teuren Städten, und wie gut Gerwig spielt, merkt man daran, dass man sie ständig schütteln will und ihr sagen möchte, dass sie sich gefälligst zusammenreißen soll. Woody Allen gefiel das so gut, dass er sie für "To Rome With Love" besetzte.

Die tragische Komödie "Frances Ha" ist nun der beste Film mit Greta Gerwig. Ihre Figur treibt eine unbestimmte Unruhe an, die Stimme klingt nach Notruf, die Bewegungen sind kontrolliertes Fallen, und ihre Beredsamkeit ist geradezu neurotisch. "Ich mag es, wenn Dinge wie Fehler aussehen", sagt sie. Man beginnt ziemlich bald, diese Frau zu mögen. Es ist, als teilte man eine Erfahrung mit ihr. Vielleicht ist es die der Zeitgenossenschaft. llll

(RP)
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