Düsseldorf Ballett am Rhein setzt in "b.35" auf starke Kontraste

Düsseldorf · Sie zucken mit den Schultern, den Hüften, den Armen, schnell, hart, jeder für sich. Wie Tänzer in einem Club, wenn draußen längst Tag ist, drinnen die Musik immer weiter treibt, nur noch der Beat zählt, Herrscher der Körper. Schnitt. Jetzt erklingt Vivaldi. Die Tänzer zeigen zarte, verspielte Figuren zu elegischen Klängen aus dem "Stabat Mater".

Und später Bollywood: Zwei Männer tanzen zur süßen Musik indischer Filme ein inniges Pax-de-Deux. Dann wieder der Groove der Gegenwart, dazu virtuose Bewegungen Einzelner, die einander begegnen. Und das alles ist disparat - und fügt sich doch zu einem überwältigenden Panorama menschlicher Ausdrucksweisen.

Mit einem ungeheuren Energieschub beginnt der neue Abend "b.35" des Ballett am Rhein, der an der Düsseldorfer Rheinoper zu erleben ist. Fast die gesamte Kompanie ist für Ohad Naharins "Decadance" versammelt. Der Israeli, Chef der Batsheva Dance Company und Erfinder der "Gaga"-Trainingsmethode, fügt seine Stücke stets aus Szenen vergangener Arbeiten zusammen. So entstehen kontrastreiche Collagen voller Bilder und Impulse, die enormen Sog entwickeln. "Ignore" hatte eine Stimme am Anfang befohlen. Der Zuschauer solle alle Konzepte und Vorstellungen hinter sich lassen, sich unbefangen dem Zuschauen hingeben.

Eine ähnliche Haltung verlangt auch der zweite Teil des Abends, den Ben J. Riepe übernommen hat. Der freie Choreograf, dessen eigene Kompanie ebenfalls in Düsseldorf ansässig ist, arbeitet zwar mit Bewegung und den Ausdrucksmöglichkeiten von Tänzern, doch sind seine Choreografien lebendige Skulpturen, bewegte Bilder. Und die explodieren in "Environment" vor Farben und Mustern. Tänzer in prächtigen Roben, die in Gesichtsmasken übergehen, treten vor wilden Hintergründen auf. Traumfiguren, die ihre Hüllen auch abstreifen, sich in andere Figuren verwandeln. Dazu redet ein Tänzer im Frack unaufhörlich vom Strom der Gedanken und Bilder, die geradliniges Erzählen unmöglich machen. So ist auch dieses Stück eine Collage, in der sich die Jünger des individuellen Gedankenrauschs zum letzten Abendmahl versammeln, am Tisch aber doch lieber mit Löffeln auf die Platte klopfen, Rhythmen sampeln.

Nach so viel wucherndem Surrealismus hat der Direktor des Ballett am Rhein, Remus Sucheana, es schwer mit seiner klassisch gearbeiteten Choreografie zu Schuberts Es-Dur-Trio Nr. 2. Sucheana lässt in Spitzenschuhen tanzen, stellt Bilder der Sehnsucht und romantischen Verlassenheit gegen Momente voller unbefangener Heiterkeit. Doch gelingen ihm zu selten überraschende Bilder wie jenes als sich einzelne Tänzer in der großen Formation mit Pirouetten aus der Masse schrauben. Sucheana arbeitet überraschend im Detail, erkundet aber noch die Erneuerungsmöglichkeiten in der Form. Zwei weitere Arbeiten wird er in der nächsten Saison präsentieren.

Info Karten unter Telefon 211 89 25 211 sowie 0203 283 62 100

(dok)
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