Duisburg Ballett: Artistik und Klage in "b.18"

Duisburg · Nils Christe bot eine erhabene Deutung von Henryk Góreckis 3. Symphonie.

Dieser Abend der Rheinoper bietet wenig Komfort, die Musiken sind spröde und zersplittert, spinnwebfein und mahlend, Melodien sind rar, und diesen Vorgaben beugen sich auch die drei Choreografien. Gleichwohl bietet "b.18", das neue Ballettprogramm aus dem Hause Schläpfer im Duisburger Theater, eine Intensität, die den Betrachter sehr beschäftigt. Bilder, vor deren Schönheit er wohlig in den Sessel sinkt, gibt es kaum. Er steht eher staunend und verwirrt, wie hinter einer Glasscheibe, und schaut.

Etwa auf die Glasperlenspiele in George Balanchines legendären "Episodes". Die haben sich Musik von Anton Webern geborgt, lauter Miniaturen in Dauer und Gestus, in denen Balanchine fast magnetisch auf die Musik reagiert. Manches Staccato kommt auf Zehenspitzen angetrippelt, manches Tremolo zittert wie eine Marionette, die Tänzer haben wenig Kontakt mit der Materie unter sich. Soli und Pas de deux sind von Scheinwerferlicht konzentriert, Pathos gehört nicht hierhin, eher die schlanke Mechanik der Glieder: Balanchine, der Artist. Großartig die krakenhafte Unerbittlichkeit, mit der sich Jackson Correll in seinem Solo auf den Boden zwingen lässt.

Danach zeigt uns Martin Schläpfer in "Sinfonien" (Musik von Wilhelm Killmayer) gleichermaßen geistreiche Übersetzungen von Musik in Körpersprache, doch auch eine stimmige spätabendliche Tragödie über eine Gruppe von Menschen in dunklen Röcken und in bäuerlicher Umgebung. Sie merken irgendwann, dass bei neun Leuten zur Bildung von Paaren einer überzählig ist.

Der bleibt es bis zum Ende, bis zu seinem brutalen Kopfbad im Waschzuber. Aber auch den anderen scheint es nicht wohl im Schädel, schon am Anfang waren sie bei einem sehr langen Ton auf den Spitzen gestanden und mussten sich dabei drehen, wie wenn die Nadel eines Plattenspielers durch die Rille der LP gezogen wird.

Die Uraufführung des Abends, "Sorrowful Songs" von Nils Christe, bot die eindringlichste Story des Programms zur "Symphonie der Klagelieder" von Henryk Górecki, eine trauerbeflorte Geschichtsstunde mit Sopran-Tönen aus der Gestapozelle, mit einer Mutter-Sohn-Pietà und einem Strahlenglanz der Hoffnung, nicht nur am Ende. Kitsch oder authentische Klage?

Christe tat das Richtige: Er holte diese langsame, atmende Musik für seine Choreografie aus der Ecke mit der Pinnwand, auf der immer die Botschaften stehen, und ließ ihre Akkorde wie mit glühenden Seilen aus dem Orchestergraben ziehen. Auf der Bühne erregte die Musik eine Würde und Erhabenheit, die nicht dadurch kleiner wurde, dass die Leiber der großartigen Tänzer auch schon mal absichtsvoll auf den Boden krachten. Christe war der Kraftvollste an diesem Abend; die Idee, die Frauenstimme in die Choreografie zu integrieren, war genial.

Die Duisburger Philharmoniker unter Christoph Altstaedt betreuten diese disparaten Musiken mit etwas gedeckter Schönheit; Górecki war bei den Streichern zu klein besetzt und klang paradoxerweise zu laut. Diese Musik braucht einen Teppich, und zwar den leisesten. Der Mezzosopran von Annika Kaschenz musste anfangs forcieren, um die Klangklagemauer zu überwinden. Als er drüber war, leuchtete er eindrucksvoll, wie von einer anderen Welt.

(RP)
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