Köln Barbra Streisand bezaubert Köln

Köln · Die 71 Jahre alte Sängerin begeisterte beim zweiten Deutschland-Konzert ihrer Karriere 13 000 Fans in der Arena. Der Auftritt dauerte drei Stunden.

 Sie kostete jede Note ihrer inzwischen klassischen Songs aus: Barbra Streisand in Köln.

Sie kostete jede Note ihrer inzwischen klassischen Songs aus: Barbra Streisand in Köln.

Foto: Wafzig

Dass das ein großer Abend werden würde, spürte man gleich zu Beginn des dreistündigen Auftritts. Das Orchester brachte die Ouvertüre aus dem Musical "Funny Girl". 60 Musiker spielten sich unter einem gewaltigen Schwarzweiß-Foto der Brooklyn Bridge bei Nacht in Rage, die Bühne war von Hunderten kleiner Lampen illuminiert. Plötzlich erlosch das Licht, Dunkelheit legte sich über 13 000 irritierte Zuschauer. Dann ging ein Spot an, er wurde auf die Mitte der Bühne gerichtet, und da stand sie: Barbra Streisand. Die Menschen erhoben sich, manche schrien, man hörte einige rufen, "We love you" und "Barbra", es flogen Blumen, und einer wollte der 71-Jährigen ein Gladiolen-Gebinde hinaufbringen, wurde aber vom Sicherheitspersonal gestoppt. Die Streisand legte die linke Hand in das Dekolleté ihres Donna-Karan-Kleides, stand minutenlang einfach da. Sie genoss das, winkte, wobei sie Daumen und Zeigefinger der flachen Hand stillhielt und nur die anderen Finger sacht bewegte. Sie sagte Danke. Und begann zu singen.

Einer der größten Stars der Welt trat in der Kölner Arena auf, und allein sein Erscheinen war eine Sensation. Das Brooklyner Kind aus jüdischem Elternhaus mied Deutschland lange wegen der Nazi-Gräuel. Erst 2007 gab Barbra Streisand in der Berliner Waldbühne ihr erstes Konzert hierzulande. Das in Köln war nun das zweite, und die Karten kosteten im Schnitt 250 Euro — für die Plätze vor der Bühne musste man 560 Euro bezahlen.

Es war ein Ausflug ins mythensatte Biografie-Museum dieser Frau, die wie eine weise Kaiserin wirkt; sie führte durch ihr Leben, die 50 Jahre währende Karriere. Sie zeigte Fotos, Ausschnitte aus Filmen, und vor allem sang sie ihre Lieder so, dass man für jeweils drei oder vier Minuten dachte, das seien die schönsten Lieder überhaupt. Sie gab "The Way We Were" und "People", "Evergreen", "Bewitched, Bothered And Bewildered" und den Disco-Kracher "Enough Is Enough".

Sie kostete jede Note aus, ließ sie verwehen, verabschiedete sich von ihr wie von einem Freund. Sie sang die inzwischen klassischen Songs nicht, wie sie das früher getan hat. Sie interpretierte sie als die Frau, die sie heute ist, gerührt und einsichtig, weniger dramatisch, dafür mit spöttischer Gelassenheit. Das Streisand-Erlebnis gewähren jene Lieder, in denen sie von den Stunden der Einsamkeit im Morgengrauen singt und man nicht mehr wahrnimmt, dass sie dabei im Scheinwerferlicht steht. Sie singt dann für jeden Einzelnen, verhalten, sie trumpft nicht auf. So wird die Begegnung mit sich selbst zur Rückschau in Wahrhaftigkeit: "There's no yes in yesterday" heißt es in ihrem Song "Here's To Life". Sie kaschierte nicht die verschatteten Höhen und übertünchte auch nicht die brüchigen Stellen ihrer Stimme. Sie belächelte manche Zeile aus den frühen Liedern, "ha ha ha" machte sie mitten im Vortrag, und das klang höher als die übrigen Worte, mädchenhafter, und überhaupt wirkte sie mitunter wie ein großes Mädchen — wenn die Leute applaudierten etwa, wenn Streisand die Lippen aufeinander presste und einen Knicks machte.

Sie saß zumeist an einem mit Rosen geschmückten Tischchen, trank Tee, erzählte von den Männern, in deren Apartments sie lebte, von toten Freunden und verpufften Illusionen. Sie war nicht sentimental, sondern wehmütig, im Grunde erzählte sie aus dem Leben der vor ihr Sitzenden, und zwischendurch sang sie Lieder, zog sich um, sagte "Kaiserschmarrn und Apfelstrudel" und erzählte, dass sie nachmittags den Kölner Dom besichtigt habe und tags zuvor das Anne-Frank-Haus in Amsterdam. Sie war familiär.

Ihr Lampenfieber ist legendär, man weiß das, und sie tat nicht so, als wisse man es nicht. Sie nahm die Fans ernst, also machte sie auf die Teleprompter aufmerksam, auf denen jeder Songtext und jede Zwischenansage vermerkt waren. Sie sang "Woman In Love" und kokettierte mit ihrer Schwäche, "helft mir mit den Lyrics" rief sie, und tatsächlich erhob sich jeder und sang dieses Lied mit; gewissermaßen Hand in Hand brachten Star und Fans den Song ins Ziel — es war einer der gewaltigsten Momente des Abends.

Das war Spitzen-Entertainment der alten Schule: von allem viel zu viel, also gerade genug, zudem manchmal neben der Spur. So bat sie ihren Sohn Jason Gould auf die Bühne, er sei so "prescious", sagte sie, als er sich neben sie setzte, dann zeigten sie den Film, den er der Mama zum 70. Geburtstag geschenkt hat: Bilder der beiden aus 40 gemeinsamen Jahren. Sie tätschelte sein Knie, er sei "gorgeous", sagte sie, sie sangen im Duett, sie schaute ihn verliebt an, "Darling", er schmachtete zurück: "Wie sehr ich dich liebe", seufzte er, und man meinte, Sigmund Freud auf seiner Wolke im Himmel leise kichern zu hören. Später holte Streisand ihre Halbschwester Roslyn Kind auf die Bühne. Die Jüngere trug den gleichen 500-Dollar-Haarschnitt wie die Ältere, beide sangen "Smile".

Viele Frauen im Publikum hatten hohe Absätze und Kostüm gewählt, Männer schwitzten in Anzügen, und im Foyer gab es Prosecco. Man konnte dort Karten ausfüllen, "Ask Barbra" hieß die Aktion, jeder durfte eine Frage an die zweifache Oscar-Gewinnerin richten. Vor der Pause, die sie nach 90 Minuten einlegte, las Streisand daraus vor. Und wenn sie dereinst nicht mehr singen mag, möge sie bitte mit dieser Nummer zurückkehren. Joachim aus Wipperfürth fragt: "Bist du alle Stufen zum Turm des Doms hochgestiegen? Das ist hier Tradition." Streisand schaute über den Rand ihrer Lesebrille, das Publikum johlte, sie sagte: "In Amerika haben wir auch eine Tradition. Sie heißt Fahrstuhl." Ein anderer Fan schrieb, als "Guilty" ein Hit war, habe er sich von seinem Freund getrennt. Sie seien später wieder zusammengekommen, nun seien sie verheiratet und unter den Gästen. Ob Streisand das Lied spielen möchte. Sie schaute, wie sie damals in dem Film "So wie wir waren" Robert Redford angeschaut hat, sie schaute so, dass man an früher denkt und es egal ist, wie lange früher zurückliegt, so, dass man traurig wird und froh. Sie schaute und sagte, dass sie das Lied lange nicht gegeben habe. Dann fragte sie: "Meint ihr dieses Lied?". Sie sang "Guilty". Es ging im Jubel unter.

Doch, da darf man schwärmen: Womöglich erlebte die Kölner Arena kein tolleres Konzert als dieses.

(RP/jco)
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