Bayreuther Festspiele Dirigenten-Streit auf dem Grünen Hügel

Bayreuth · Nach zahllosen Kontroversen muss sich Bayreuth einen neuen Leiter für den "Parsifal" suchen: Andris Nelsons hat hingeworfen.

Bei den Bayreuther Festspielen ticken die Uhren bekanntlich anders als überall sonst in der Welt, aber sobald die Eröffnungspremiere der fünfwöchigen Wagner-Feierlichkeiten in die Nähe rückt, funktionieren wenigstens die Wecker. Pünktlich vier Wochen vor dem Startschuss ist es seit einigen Jahren üblich, dass irgendein interner Krach an die Öffentlichkeit dringt. Zuständig für diese PR-Maßnahmen ist Festspielchefin Katharina Wagner, die von Marketing und Medienwirksamkeit deutlich mehr versteht als von anderen Dingen, etwa von Kunst.

Nachdem in den vergangenen Jahren vor dem Beginn der Festspiele regelmäßig Regisseure und Sänger absprangen oder abgesprungen wurden, ist es in diesem Jahr ausgerechnet ein Publikumsliebling: der lettische Dirigent Andris Nelsons. Der gilt seit seiner "Lohengrin"-Leitung von 2010 als formidabler Wagnerianer: feinsinnig, intensiv, auch die leisen Ekstasen schürend. Nun aber hat er kurz vor der Premiere von "Parsifal" die Arbeit hingeschmissen. Es sei zu unüberbrückbaren Differenzen gekommen, hieß es aus dem Umfeld des Künstlers. Die Rede war offiziell von "einer unterschiedlichen Herangehensweise in verschiedenen Hinsichten", und offenbar "hat sich die Atmosphäre der diesjährigen Bayreuther Festspiele nicht in einem für alle Parteien untereinander annehmbaren Weg entwickelt".

Was war da los? Wie Insider erfahren haben, soll Bayreuths verantwortlicher Musikdirektor Christian Thielemann, weltberühmter Dirigentenkollege und Intimus Katharina Wagners, sich mit angeblich sachdienlichen Hinweisen, wie man das Werk zu dirigieren habe, bei Nelsons nicht zurückgehalten haben. In einer Chorprobe soll der von Thielemann wie ein Schuljunge behandelt worden sein. Unter dem Siegel freundlicher Hinweise zur schwierigen Akustik des Festspielhauses habe Thielemann sich beinahe übergriffig verhalten, heißt es. Nelsons hat das anfangs in sich hineingefressen, jetzt hat er seine Demission erklärt.

Thielemann hat nun darauf hingewiesen, dass er Nelsons auf digitalem Wege etliche Bittgesuche habe zukommen lassen, Nelsons möge doch zurückkehren. Sie wurden nicht beantwortet. In einer Rede vor dem Orchester habe Thielemann laut "Welt" mitgeteilt: "Ich bin es nicht gewesen." Der empfindsame Künstler Nelsons jedenfalls ist offenbar nachhaltig verstört. Das kann man einerseits verstehen. Andererseits operiert Nelsons derzeit kräftemäßig am Limit. Er leitet ja seit zwei Jahren das Boston Symphony Orchestra und ist derzeit bei dessen Sommerfestival in Tanglewood beschäftigt; soeben hat er zudem für den erkrankten Riccardo Chailly dessen Abschiedskonzerte beim Gewandhausorchester übernommen - und dann freut sich alle Welt, wenn er zwischendurch und immer häufiger in Bayreuth einkehrt und arbeitet. Das ist ein gigantisches Pensum für den 37-Jährigen, der ja nicht in Bayreuth lebt, sondern mit seiner Gattin, der Sopranistin Kristine Opolais, immer noch in Riga wohnt. Das ist logistisch mit den für Jet-Set-Dirigenten relevanten Flughäfen der Welt eher schlecht vernetzt.

Thielemann ist als Stänkerer, als Neider bekannt; wo er beschäftigt ist, hinterlässt er verbrannte Erde. Fraglos empfindet er Nelsons als erhebliche Konkurrenz, der Lette ist ein Sonnyboy, den jedermann mag und der darüber hinaus künstlerisch hoch im Kurs steht, auch bei den Plattenfirmen. Thielemann dagegen gilt mit seiner plakativen Nähe zum deutschen Kernrepertoire zunehmend als Auslaufmodell. Kann jedenfalls durchaus sein, das Christian Thielemann in seiner allseits bekannten Divenhaftigkeit derzeit unter Strom steht und versucht hat, Nelsons in Bayreuth wegzubeißen. Dabei wird er selbst das Amt nicht übernehmen können, weil er ja bereits den "Tristan" dirigiert.

Auf die Festspiele wirft das alles kein gutes Licht. Selbstverständlich hat Katharina Wagner ihren lieben Christian gebeten, bei Nelsons nach dem Knatsch für gutes Wetter zu sorgen; deshalb Thielemanns Mails und SMS, er, Nelsons, möge doch zurückkehren. Das wird der Lette nach aktueller Datenlage erst 2017, weil er für "Parsifal" einen Zwei-Jahres-Vertrag hat. In jedem Fall muss Bayreuth binnen drei Wochen einen Einspringer gefunden haben, das kann kein A-Dirigent sein, denn A-Dirigenten sind so kurz vorher nicht mehr zu kriegen.

Das Werk kommt am 25. Juli also erstens unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen (in Bayreuth wurde neulich zur Terroristenabwehr ein meterhoher Metallzaun rund um das Festspielhaus gebaut) und zweitens mit einer B-Mannschaft heraus. Auch Regisseur Uwe Eric Laufenberg ist nur eine Zweitbesetzung; ursprünglich sollte der Aktionskünstler Jonathan Meese das schwierige Werk inszenieren; dann aber gab es Zwist über künstlerische und finanzielle Optionen, und Meese wurde aus dem Amt gedrängt. Mancher begrüßte das: Schon der Plan, dem gern mit Schmutz und Hitlergrüßen um sich werfenden Spielkind Meese ausgerechnet den heiligen "Parsifal" anzuvertrauen, war ja eine reine Schnaps- und Medienidee gewesen.

Eigentlich ist das alles ein Fall für den Aufsichtsrat.

(w.g.)
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