Bayreuther Festspiele Generalprobe am Grünen Hügel

Bayreuth · Vor Premieren herrscht in Bayreuth Ausnahmezustand. Unser Musikredakteur durfte den "Tristan" vorab sehen.

Bayreuther Festspiele Spielplan 2016: Eine Übersicht
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Das ist der Spielplan der Bayreuther Festspiele 2016

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Den Auftrieb erlebt Bayreuth erst am Samstag. Vorerst geht die Ortspolizei anderen Obliegenheiten nach, die Minister des Freistaats hocken noch in München, heute kein Personenschutz, keine Smokings, keine Abendkleider, keine Angela Merkel, kein Roberto Blanco, keine Schaulustigen, keine Kameras. Der Grüne Hügel ruht in Unschuld. Aber im Inneren, im Festspielhaus, brodelt es. Die Nerven liegen blank. Die Festspielchefin Katharina Wagner, so hört man, dreht am Rad. Angeblich plant sie ein Regie-Attentat auf ein Heiligtum der Musikgeschichte: den "Tristan" ihres Urgroßvaters Richard Wagner. Andere sagen, sie werde das Werk als realistischen Thriller kenntlich machen. Und das Stück desillusionieren. Einige Handverlesene dürfen schon vorab gucken, was sie mit "Tristan und Isolde" vorhat. Sie dürfen die Generalprobe besuchen. Zutritt zum Tabernakel.

Und ich darf mit hinein.

Generalprobe in Bayreuth: An jedem Theater ist sie die letzte Ruhe vor dem Sturm. Manchmal ist sie aber auch der Sturm selbst. Generalproben sind Ausnahmezustand. Zum einen herrschen die Bedingungen der Premiere, niemand wird mehr unterbrechen; andererseits können der Regisseur, der Dirigent, selten auch der Intendant jetzt noch ein letztes Mal auf die Storno-Taste drücken. Alle paar Jahre wird eine Premiere nach der Generalprobe verschoben. Das Produktionsteam begutachtet ja die Ergebnisse der Proben mit den Sinnen der Kundschaft. Können wir das schon zeigen? Sind wir wirklich fertig? Dem Team machen Generalproben Schwitzflecken unterm Hemd, sie sehen ja, wo es noch klemmt, wo das Regiekonzept holpert, wo Sänger unbeholfen über die Bühne stapfen oder vokale Konditionsprobleme offenbaren. Trotzdem heißt es fast immer: Augen zu und durch.

 In diesem Jahr gibt es bei den Richard-Wagner-Festspielen nur eine Neuinszenierung: "Tristan und Isolde". Ansonsten werden noch "Der Ring des Nibelungen", "Lohengrin" und "Der fliegende Holländer" gezeigt.

In diesem Jahr gibt es bei den Richard-Wagner-Festspielen nur eine Neuinszenierung: "Tristan und Isolde". Ansonsten werden noch "Der Ring des Nibelungen", "Lohengrin" und "Der fliegende Holländer" gezeigt.

Foto: dpa, ebe sab kde

Seit 26 Jahren fahre ich nun schon nach Bayreuth, immer wieder sind die Festspiele Faszination (Wagner!) und Alptraum (Wagner!) zugleich, sie beglücken und zermürben einen, das Wetter haut einen sowieso um, die Luft steht, doch jedes Mal ist die Erregung groß. Diesmal, vor "Tristan", ist sie gewaltig. Katharina Wagner hat die Regel gebrochen, dass in die Generalprobe auch Künstler, Intendanten, Dirigenten, Regisseure und manche Kritiker aus nah und fern dürfen. Sie hat die "Tristan"-Generalprobe "gesperrt", wie es vor Ort heißt, nur wenige Reihen werden von Publikum besetzt sein. Wer hier Zugang hat, befindet sich im Zustand einer gewissen Gnade. Und strahlt kolossalen Stolz aus. Einige Herrschaften der "Upper Class" (etwa Entertainer Max Raabe) oder des "Inner Circle" (Germanist Dieter Borchmeyer) tragen leichte, elegante Sommeranzüge und scherzen; die Damen zeigen mehr als nur Knie, nichts wallt, keine Fliege würgt. Jedermann freut sich. Doch insgeheim sind alle diese Bayreuth-Profis nervös wie Kinder vor der Einschulung.

In dieser Generalprobe werden also nur Leute sitzen, denen die Bayreuther Festspielleitung vertraut. Dass ausgerechnet ich eine Karte bekommen soll, ist entweder ein Mysterium oder ein Versehen. Bald weiß ich Genaueres: Trotz eines positiven Bescheids muss ich mich wie jeder andere artig anstellen, muss vorsprechen und höchstpersönlich meine Eignung und Identität überprüfen lassen; hinter einem Lächeln geschieht das unmerklich. Niemand darf einfach so hinein. Dann wird auch mir, dem Kritiker, der Zugang gewährt: "Ach, Herr Goertz, grüß Gott. Schön. Frau Wagner weiß ja Bescheid!" Den Tagesausweis, tatsächlich auf meinen Vor- und Zunamen ausgestellt, flankiert ein Katalog mit Kleingedrucktem. Wiederholte Ausweiskontrolle. Personalausweis ist bereitzuhalten. Kein Anspruch auf irgendetwas. Kein Austausch, keine Übertragung der Karte. Vor allem muss eine "erfolgreiche Aktivierung" durchgeführt werden; niemand weiß, was das bedeutet.

Bayreuther Festspiele: Generalprobe am Grünen Hügel
Foto: Nein

Sehr eindringlich, fast drohend ein Satz: "Eine öffentliche Kritik der besuchten Generalprobe ist grundsätzlich untersagt." Zudem kann jeder ohne Angabe von Gründen herauskomplimentiert werden. Von früher weiß man, dass das Publikum einer Generalprobe zurückhaltend sein sollte. Einmal haben ein paar erzürnte Gäste nach dem ersten Aufzug einer Inszenierung des früheren Festspielchefs Wolfgang Wagner gebuht. Da hat er einen Tobsuchtsanfall bekommen und alle rausgeschmissen. Das kann heute auch passieren, in Bayreuth herrschen sehr eigenwillige Sitten. Nun ja.

Angela Merkel in blauem Ensemble bei den Bayreuther Festspielen
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Jedenfalls werden wir mit unseren Zugangskarten ohne irgendeine Begründung erneut zum Künstlereingang geschickt und müssen - keiner weiß, warum - einen Umweg durch das legendäre Innerste nehmen. Wie Messdiener vor dem ersten Pontifikalamt schreiten wir durch alte Gänge mit knisternden PVC-Böden, müssen an Katharina Wagners Büro vorbei, ihre Tür ist einen Spalt geöffnet, auf dem Tisch steht eine Handtasche. Das übernächste Zimmer gehört dem Theaterarzt. An jeder neuen Tür will ein Kontrolleur die Zugangskarte sehen, das Festspielhaus gleicht jetzt einem Hochsicherheitstrakt.

Dann steigen wir die Holztreppen zum Saal hoch und hören dieses Knarren, das schon Meister Richard so seelenwichtig war. Mit einigen Musikern, die heute nicht singen oder musizieren und kurze Hosen und Sandalen tragen, klettere ich in diesen heiligen Tempel der Musikwelt. Vorne ist alles gesperrt, doch hinten darf jeder sitzen, wo er will. In Reihe 10 hockt im Dämmerlicht das Produktionsteam, Regisseurin, Dramaturgen, Beleuchter, Kostümbildner, Bühnenbauer, Techniker, Assistenten des Dirigenten. Wie Verschwörer wirken sie, die trotzig die Köpfe recken. Sie sitzen an langen Tischen, die Partitur und kleine Kontrollmonitore vor sich, auf denen gleich im Graben der Dirigent Christian Thielemann auftauchen wird. Und fürwahr, pünktlich um 16 Uhr lässt er diese beinahe toxischen "Tristan"-Klänge mit dem Festspielorchester in den Saal strömen. Im Freizeithemd.

Was wir sehen und hören, füllt unsere Köpfe, animiert unseren Widerspruch, beschwert uns mit Einfällen. Wagner treibt uns wieder um. Nicht reden, nicht plaudern? In den Pausen wird draußen natürlich wie wahnsinnig diskutiert, weil Katharina den "Tristan" streckenweise tatsächlich neu erfindet. Jeder hier kennt das Stück wie seinen Kleiderschrank und ahnt in der Generalprobe, diesem einzigartigen Zeitloch, dass am Samstag bei der Premiere die Hölle los sein wird.

Ich sage nichts. Noch nicht.

(w.g.)
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