Düsseldorf Bitterböse und blasphemisch

Düsseldorf · "Die Goldberg-Variationen" in Düsseldorf: Tabori-Premiere vor ausverkauftem Haus.

Es bleibt nicht viel von der Strenge Taboris, jenes außergewöhnlichen Theatermachers, der 2007 in Berlin gestorben ist. Aber seinem unerschöpflichen schwarzen Humor ("Der kürzeste deutsche Witz ist Auschwitz") und seiner Wortgewalt ("Das Wort ist eine geladene Waffe") hat die Inszenierung der "Goldberg-Variationen" von Tilo Nest im Düsseldorfer Schauspielhaus Gehör verliehen. Behutsam hat man den Text modernisiert, das Spiel allerdings ins Groteske getrieben, fast übertrieben. Es geht zotig zu auf der Bühne, als Opferlamm kommt ein kleiner wohlerzogener weißer Hund angelaufen, dem man ein Schaf-Fell auf den Rücken geschnallt hat. Es wird kopuliert im Viererpack, kurz vor Schluss gekreuzigt. Das Große Haus war ausverkauft, man sah auffallend viele junge Menschen, nach zwei Stunden gab es ehrlichen Applaus.

"Die Goldberg-Variationen" ist ein selten gespieltes Stück, das nach der Uraufführung, 1991, kaum inszeniert wird. Vielleicht, weil es schwer zu verstehen ist mit seinem Schachzug der Vermischung und Überblendung der Ebenen. Vielleicht auch aus Respekt vor George Tabori, den niemand missverstehen möchte. Als Bachs Klaviermusik sind die "Goldberg-Variationen" eh viel bekannter - in Düsseldorf werden diese kostbaren Kompositionen zugespielt, noch bevor die ersten Worte erklingen. Dazu schrubbt eine Putzfrau den Boden. Die Bühne ist noch leer, "Grüß Gott" steht am schwarzen Hintergrund, ein Davidstern hängt kurz da, bevor er fällt. Sieben Tage wird die Probezeit betragen - so viele, wie die Erschaffung der Welt benötigte. Auf der Bühne wird Theater geprobt, aber in Wahrheit ist das Theater die Welt. Viele Textbausteine liefert die Bibel - Blasphemie ist das Programm des Autors und sein Kalkül.

Wer George Tabori kennt, weiß um seinen Blick und die Bewertung der Dinge. Das Scheitern als Traum von der Freiheit gilt ihm als ein Lebensprinzip, das Theater kann wahrhaft, aber nie perfekt sein, und Liebe gibt es nicht ohne Verlust. Regisseur und Assistent agieren wie Gott und Gottessohn, um sie herum kreucht und fleucht alles, was zur Schöpfung dazugehört: Menschen und Tiere im prächtigen Paradies.

Goldberg sei Dank, den der Schauspieler Rainer Galke wendig, zerrissen, widerständig und glaubwürdig ausstattet! So werden Hindernisse bei der Erschaffung der Welt glaubhaft, der Zweifel an testamentarischen Wahrheiten lässt sich nachvollziehen. Als Goldberg am Kreuz hängt, lassen sich die Realitätsebenen nicht mehr trennen.

Im grandiosen Ensemble trumpfen Hanna Werth in vier Rollen und Karin Pfammatter als weiblicher Mr. Jay auf, obwohl sich die Hosenrolle für "Gottvater" letztlich nicht erschließt. Die Männer Heisam Abbas, Thiemo Schwarz und Konstantin Bühler sind vor nichts fies, ob kreischendes Baby, Schlange des Verderbens oder Jude und Bandmitglied bei den Hell's Angels.

Bitterböse und belustigend.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort