Berlin Botticelli als Blaupause

Berlin · Die Gemäldegalerie Berlin schlägt einen Bogen vom Maler der Renaissance zu Warhol und anderen Künstlern des 20. Jahrhunderts.

Vor dem Eingang der Berliner Gemäldegalerie ist bis zum Januar nächsten Jahres eine Muschel aufgebaut. Besucher können hineinsteigen und sich in der Pose der Göttin aus dem weltberühmten Gemälde "Geburt der Venus", das Sandro Botticelli um 1486 schuf, fotografieren lassen. Im Katalog zur großen Botticelli-Ausstellung, die jetzt eröffnet wurde, ist eine Aktion des spanischen Künstlers Adrián Pino Olivera dokumentiert. In den Florentiner Uffizien ist er, nackt wie Gott ihn erschuf, vor Botticellis Gemälde niedergekniet, faltet die Hände und blickt zur Venus auf.

"Während Leonardo da Vinci und Michelangelo, Raffael und Dürer schon zu ihren Lebzeiten kanonischen Status erwarben und nie verloren, war Botticelli der Nachwelt lange kein Begriff", stellen der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Michael Eisenhauer, und der Direktor des Victoria and Albert Museum in London, Martin Roth, im Katalog fest. Erst im 19. Jahrhundert wurde er als einer der Großen der abendländischen Malerei wiederentdeckt.

Die Ausstellung, die im kommenden Frühjahr nach London ins Victoria and Albert Museum weiterziehen wird, konfrontiert Bilder des Meisters mit Zeugnissen seines Nachlebens und seiner Faszination auf spätere Kollegen. Bekanntes Beispiel sind Andy Warhols Siebdrucke des Venuskopfes von 1984. Neben der "Geburt der Venus" ist auch "Der Frühling", etwa 1486 entstanden, zum festen Bestandteil der modernen Populärkultur geworden.

Diese beiden Spitzenwerke der Kunstgeschichte durften ihren Platz in den Uffizien nicht verlassen. Doch ein halbes Hundert Botticelli-Bilder sind in der Ausstellung zu sehen. Aus eigenen Beständen steuerte die Berliner Nationalgalerie unter anderem den sogenannten "Bardi-Altar" von 1485 bei: eine thronende Madonna, flankiert von zwei Heiligen. Das Bild von 1485 gilt als Botticellis religiöses Hauptwerk in seiner frühen Periode.

Oder den "Heilige Sebastian", 1474. Der Märtyrer steht da von Pfeilen durchbohrt, die seiner Schönheit dennoch nichts anhaben können; in der Schwulenbewegung hat auch er es zu einer Art Ikone gebracht. Aus dem Berliner Kupferstichkabinett sind einige Blätter aus Botticellis Illustrationen zu Dantes "Göttlicher Komödie" ausgestellt. Skizzen für einen Freskenzyklus, der dann nicht ausgeführt wurde? Auf dem spätesten dieser Blätter - die Kunsthistoriker datieren es auf etwa 1494 - hat Botticelli seine Signatur angebracht; ein Engel empfiehlt ihn der göttlichen Gnade. Mit der Biografie des Malers im Gedächtnis, die zwei Generationen später Giorgio Vasari schrieb, neigen wir - vielleicht etwas vorschnell - dazu, darin das Zeugnis einer religiöse Bekehrung zu sehen.

Botticelli, so schrieb Vasari, sei von den Mahnungen des Bußpredigers Girolamo Savonarola in den frühen 1490er Jahren derart beeindruckt gewesen, dass er das Malen aufgab. Doch für eine solche "Bekehrung" fehlt jeder Beleg. Der Kunsthistoriker Uwe Rehm erklärt in seinem Katalogbeitrag Vasaris Darstellung denn auch rundweg zu einem "Zerrbild". Gesichert ist, dass Botticelli auch in seinen letzten Lebensjahren noch Aufträge bekam. Ein Wandel ist dennoch festzustellen: weg von der Schönlinigkeit, hin zu einem stark expressiven Stil. Aus der National Gallery in London ist die sogenannte "Mystische Geburt", eine Darstellung des Stalls von Bethlehem, nach Berlin gekommen, gemalt im Jahr 1501. Im Vergleich mit früheren Bildern des Malers wirkt sie beinahe mittelalterlich. Dem Gedächtnis der Nachwelt und unserer Gegenwart freilich hat sich der frühe Botticelli eingeprägt, also der vor der vermeintlichen Bekehrung.

Seit den 1860er Jahren breitete sich in England ein Botticelli-Kult aus. Maler wie Edward Burne-Jones und Dante Gabriel Rossetti sahen in ihrem Kollegen aus dem Florenz der Frührenaissance einen Seelenverwandten; seine religiösen und mythologischen Bilder dienten als Vorbilder ihres eigenen, symbolisch und mystisch verrätselten Stils.

Aber es ging auch anders. 1939 wollte Salvador Dalí über dem Eingang eines Pavillons der New Yorker Weltausstellung eine fünf Meter hohe Reproduktion von Botticellis "Venus" anbringen. Das Gesicht allerdings war durch einen wenig appetitlichen Fischkopf ersetzt. Das Ausstellungskomitee stellte sich dagegen. Dalí veröffentlichte seine Kreation auf dem Deckblatt eines Pamphlets, in dem er sich über so viel Fantasiearmut beklagte: "Hätten ähnliche Komitees im unsterblichen Griechenland existiert, hätten die Griechen niemals ihre sensationelle und herausfordernde Mythologie entwickelt."

Venus und immer wieder die Venus: 2009 schuf der Amerikaner David Lachapelle seine fotografische Arbeit "Rebirth of Venus". Da steht ein Model zwischen zwei muskulösen Männern; der linke bedeckt ihre Scham mit einer Muschel. Es geht um Sex, da lässt Lachapelle keinen Zweifel, nicht wie bei Botticelli um eine Philosophie. Aus dem Musée d'Orsay in Paris ist die "Geburt der Venus" (1879) von William Bouguerau zu sehen. Seine Nackte präsentiert sich dem Betrachter in unverhüllter Sinnlichkeit. Dahinter allerdings wird niemand eine Philosophie vermuten.

(RP)
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