Krefeld Brexitus in Krefeld

Krefeld · Das Künstlerduo Elmgreen & Dragset hat das Museum Haus Lange zum Wohnhaus für Brexit-Flüchtlinge umgestaltet.

Das Museum hat neuerdings einen Swimmingpool. Überhaupt hat sich vieles verändert im Haus Lange. In der Stadtvilla, die zu den Krefelder Kunstmuseen gehört, scheinen Leute zu wohnen. In der Auffahrt steht ein gold-metallicfarbener Jaguar mit beladenem Gepäckträger, im Vorgarten liegt Baumaterial. Ein vorsichtiger Blick durchs Panoramafenster, das einladend von Designer-Tischleuchten erhellt ist, erhärtet die erste Ahnung: Hier zieht eine Familie ein. Im Esszimmer hat sie es sich bereits wohnlich gemacht, aber halb ausgepackte Kartons sprechen dafür, dass die neuen Bewohner noch nicht richtig angekommen sind.

Schon Tage zuvor hat das "Zu verkaufen"-Schild vor der Villa, die seit 1955 Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst ist, für Aufruhr gesorgt. Ist die Finanzlage derart miserabel, dass Krefeld jetzt schon seine Museen verkauft? Und wer kann es sich in diesen Zeiten leisten, in eine denkmalgeschützte Villa in bester Wohnlage zu ziehen, die schon als Weltkulturerbe im Gespräch war, weil sie zu den letzten spektakulären Bauten der Moderne zählt, die der Star-Architekt Ludwig Mies van der Rohe vor seiner Emigration in die USA konzipiert hat? Zwischen 1928 und 1930 entstand das zweigeschossige Backsteinhaus im Auftrag des Krefelder Seidenfabrikanten und Kunstsammlers Hermann Lange - ein Fanal der Moderne, das mit den großen, fast bodentiefen Fenstern die Verbindung von Architektur und Natur und damit von Privatheit und Öffentlichkeit neu beleuchtete.

Dieses Spannungsfeld ist das ideale Biotop für Michael Elmgreen und Ingar Dragset. Das skandinavische Künstlerduo inszeniert gerne auf dem schmalen Grat, wo die Privatsphäre ins Öffentliche rückt, wo die Grenze zwischen Alltag und Kunst ins Schwimmen gerät. 2009 haben sie eine Prada-Boutique in der texanischen Wüste errichtet und vor vier Jahren Räume des Victoria and Albert Museum in London als Apartment eines fiktiven desillusionierten Architekten präsentiert. Nun setzen sie Haus Lange unter dem Titel "Die Zugezogenen" in Szene als das, was es früher einmal war: das Heim einer Familie. Elmgreen & Dragset bauen auf die voyeuristische Lust, in geheimnisvolle Privatsphären vorzudringen: einmal stöbern, was die Zugezogenen so alles in ihr neues Leben mitbringen und was diese Indizien verraten. Aber: Es ist mehr als eine Pokemonjagd für Museumsgänger.

Wer die Haustür hinter sich schließt, findet keine Spuren mehr der bisherigen musealen Nutzung - keinen Kassenbereich, keinen Museumsshop, nicht einmal mehr die für Ausstellungsräume typischen Strahler. Stattdessen öffnet sich eine Welt erlesener Behaglichkeit wie aus hochglänzenden "Schöner Wohnen"-Magazinen: die berühmten Barcelona-Chairs aus den 20er Jahren, Designer-Möbel, edles Silber und Kristall auf schwarzem Lacktisch, Porzellanteller, die mehr kosten als ein komplettes Service aus dem Kaufhaus. Die Künstler haben mit Mobiliar aus der Sammlung (wie den berühmten Mies-Sesseln), mit edlen Einrichtungsgegenständen und Skulpturen ein Heim errichtet, in dem Kunst und Alltag sich mischen und nicht mehr klar wird, ob es fiktive Wirklichkeit ist oder wirkliche Fiktion. Je gründlicher sich der Besucher auf diese Welt einlässt, in dieser Wohnung auf Indiziensuche geht, desto glaubhafter scheint die Künstler-Mär von der Familie, die aus Angst vor den Folgen des Brexit aus England zurück nach Deutschland gezogen ist. Auf Familienfotos und Gemälden taucht ein Junge in der Uniform einer englischen Eliteschule auf. Sein leerer Blick gibt den ersten Hinweis, dass die gelackte Oberfläche auch blinde Flecken hat. Der edel gedeckte Tisch ist samt Nobel-Porzellan durchgesägt. Symbol für die gesellschaftliche Zerreißprobe. Der Flügel im Musikzimmer ist unbespielt, ein Metronom klopft den Takt der verrinnenden Zeit. Memento mori! Und passend dazu fällt der Blick nach draußen auf den Pool, in dem ein Männerkörper schwimmt. Suizid als Ultima Ratio.

Die Unsicherheiten und Ängste in einer sich verändernden Welt bringen die Künstler auf die Brexit-Formel. Die Familie, vielleicht einst mit großen Hoffnungen in Europa nach England ausgewandert, ist gescheitert - wie das Bündnis. Spannend bringen die Skandinavier Dinge ins Spiel, die für gemeinsame und unterschiedliche Werte zweier mitteleuropäischer Kulturen stehen. Sie spielen mit dem Willen zur Moderne und der gleichzeitigen Lust an Vergangenheitsverklärung, bringen Brüche, Doppelungen und Spiegelungen als Stilmittel ein. Von Raum zu Raum wird die Kontur der Zugezogenen schärfer - und sofort wieder verwässert. Die Absurdität in den Details zeigt sich im Lesezimmer, in dem alles achsensymmetrisch gedoppelt ist - sogar die zusammengefaltete "Times" und die Tassen mit den eingetrockneten Teeresten. Mikrokosmos oder globales Thema: Das darf jeder selbst entscheiden.

(RP)
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