Eine türkische Antwort Das Anti-Sarrazin-Buch

Wien/Düsseldorf · Der Wiener Student Inan Türkmen sorgt mit dem Buch "Wir kommen" in Österreich für Aufregung. Er meint: Den jungen Türken gehört die Zukunft. Es ist Zeit, dass Europa sie endlich wertschätzt.

Demonstrationen rund um Sarrazin-Lesung in Duisburg
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Bis vor einigen Wochen war Inan Türkmen, 25 Jahre, ein einfacher Student in Wien, jetzt ist er ein gefragter Gesprächspartner für die Medien. Er gibt den großen Zeitungen in Österreich Interviews und wird in Talkshows eingeladen.

Häufig wird er als "Anti-Sarrazin" bezeichnet. Auch in Deutschland steigt das Interesse an seiner Person. Ständig klingelt sein Handy. Die "Süddeutsche Zeitung" hat ihn kürzlich den "neuen Popstar des Multikulti" genannt.

Der Grund ist ein 95 Seiten schmales Büchlein, das Türkmen verfasst hat und das offenbar den Zeitgeist trifft: "Wir kommen" steht in weißer Schrift auf knallrotem Umschlag. Darüber ist der türkische Halbmond abgebildet.

Das Buch ist eine provokative, witzig geschriebene Streitschrift gegen das düstere Bild, das viele in Europa von der Türkei und türkischen Einwanderern zeichnen. Türkmen hält dagegen, dass die jungen Türken — in der Türkei und in Mitteleuropa — vielmehr ein Vorbild für das kriselnde Europa sind: "Wir sind jünger und hungriger", schreibt er, "unsere Wirtschaft entwickelt sich besser und wir sind stärker."

Die Türken sind auf dem Vormarsch, meint Türkmen. Während in Deutschland und Österreich Altenheime gebaut werden müssen, weil die Bevölkerung immer weiter vergreist, errichtet die Türkei Technologiezentren und feiert ein großes Wirtschaftswachstum.

Während die Österreicher zur Depression neigen, werden die Türken gestützt von funktionierenden Familien und lebendigen Traditionen. Das Land sei die Zukunft Europas. Das bedeute aber keinen Konflikt: "Weder der Kölner Dom noch der Stephansdom müssen einem Minarett weichen", schreibt Türkmen. Stattdessen werde die europäische Kultur durch die Vermischung bereichert. "Es wird nicht wehtun."

Inan Türkmen ist einer, der zwischen den Kulturen aufgewachsen ist. Der Vater ist Kurde und Bauarbeiter, die Mutter Türkin und Putzfrau. Türkmen wuchs in Linz auf, das Elternhaus war liberal. Er hat einen österreichischen Pass, aber regen Kontakt in die Türkei. Über einige Umwege machte er Abitur und studiert nun in Wien Internationale Betriebswirtschaftslehre, später will er vielleicht in die PR-Branche gehen. Türkmen bezeichnet sich als einen positiven Menschen, er redet schnell und lacht viel.

Die Idee für das provokante Buch hatte er bei einem Besuch in Berlin, als ein Deutscher ihn am Fahrkartenautomat mit "Was du wollen?" in schlecht nachgeahmtem Türken-Deutsch ansprach. Das ist ihm schon häufiger passiert, und es ärgert ihn. Da hat er sich gedacht: Da muss man mal was entgegensetzen.

In seinem Buch versammelt Inan Türkmen lauter Gründe, warum die Türken stolz auf sich sein können — auch als Antwort auf die Thesen von Thilo Sarrazin, über die er sich geärgert hat. Der Frauenanteil im türkischen Management ist sechsmal höher als der EU-Durchschnitt, die Wirtschaft brummt. Die Bevölkerung ist jung und motiviert, die Türken gelten als gute Krisenmanager. Einige Positivbeispiele, die er anführt, sind allerdings bekannt — etwa, dass das reale Vorbild für den Nikolaus ein Türke gewesen ist.

Europa könne sich nicht die Arroganz leisten, die Türken trotz aller dieser Leistungen wie ein "rückständiges Bauarbeitervolk" zu behandeln, schreibt Türkmen. "Es gibt eine junge türkische Generation, die liberal und demokratisch ist", sagt Türkmen. "Wir werden unterschätzt."

Es sei gewollt, dass das Bild der Türkei in diesem Buch so einseitig positiv ist, sagt Türkmen. Er habe eben mal die guten Seiten zeigen wollen. Eigentlich sehe er vieles kritisch an dem Land, sagt er, etwa die Menschenrechtsverletzungen und die Einschränkung der Pressefreiheit. "Wir kommen" sei eben eine Provokation. Die hat offenbar funktioniert, wie das große Interesse an dem Buch zeigt.

Eine Fortsetzung ist aber erst einmal nicht geplant. Inan Türkmen will sich wieder auf die Uni konzentrieren. Die kam zuletzt etwas zu kurz. Nun stehen viele Prüfungen an. Der Medienstar will wieder ein einfacher Student in Wien werden.

(RP/csr)
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