Buch über Schizophrenie-Erkrankung Der Autor, der seinen Vater erschlug

Als Student glitt Mathias Illigen in eine paranoide Schizophrenie und tötete im Wahn seinen Vater. Nach Jahren der Therapie hat der 34-Jährige jetzt ein Buch über seine Geschichte geschrieben.

Im Interview mit unserer Redaktion spricht Illigen über Schuld, die Angst vor psychischen Erkrankungen und die Kraft der Liebe.

Ihre Tat liegt fünf Jahre zurück, warum gehen Sie jetzt mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit?

Illigen In den vergangenen Jahren haben immer andere meine Geschichte geschrieben — Psychiater, Juristen, Gutachter — und sie alle kannten sie besser als ich. Ich wollte aus der Fremdbestimmung zurückfinden in die Selbstbestimmung und meine Geschichte aus meiner Perspektive erzählen. Außerdem sind in unserer Gesellschaft psychische Erkrankungen stark stigmatisiert. Ich wollte als Betroffener das Thema in die Öffentlichkeit bringen, um Vorurteile abzubauen.

Welche Vorurteile?

Illigen Krankheiten wie Schizophrenie oder Manie unterliegen nicht der Kontrolle der Betroffenen, darum gelten diese Menschen als unberechenbar und minderwertig. Viele Leute haben Angst vor den so genannten Geisteskranken, weil sie insgeheim fürchten, dass es ihnen selbst passieren könnte. Diese Angst verwandeln sie in Abwertung der Betroffenen.

Die Schizophrenie ist doch auch unberechenbar, oder? Sie beschreiben in Ihrem Buch ja sehr plastisch, wie Sie als Philosophiestudent, Doktorand von Peter Sloterdijk, in einen Verfolgungswahn gleiten, ohne das zu erkennen.

Illigen Ja, Schizophrenie ist eine unberechenbare Krankheit — solange sie unbehandelt ist. Wenn sie kontinuierlich behandelt wird, kann man die Symptome bis Null reduzieren und diesen Zustand dauerhaft erhalten. Ich habe in der Psychose ständig nach Auswegen gesucht, aber innerhalb der Logik der Psychose. Ich habe mich selbst nicht als krank empfunden.

Sie haben Ihren Vater in der Psychose für den Kopf einer Verschwörung gehalten, mit einem Stein auf ihn eingeschlagen, ihn dann mit einer Tüte erstickt. Fühlen Sie sich schuldig?

Illigen Ja, ich habe Schuldgefühle. Nicht jeden Tag, aber immer wieder mal. Nach dem Gesetz, vor dem Staat, bin ich von Schuld befreit, aber mir kommen natürlich immer wieder die Gedanken: Wie konnte das passieren? Warum kann ich das nicht rückgängig machen? Warum ist mein Weg in diese Katastrophe gemündet? Das quält mich immer wieder, aber ich habe einen Weg gefunden, damit umzugehen.

Was hilft dabei?

Illigen Die Wertschätzung der kleinen Dinge des Lebens. Je mehr ich das Banale achten kann, desto mehr hilft mir das im Großen. Der falsche Weg ist, sich ständig mit grundsätzlichen Fragen zu beschäftigen, über Schuld zu grübeln, darüber, ob ich ein schlechter Mensch bin oder ob man mir meine Tat jemals verzeihen kann.

Ist das Buch zu schreiben, Teil der Schuldbewältigung?

Illigen Ja, es ist mein privater Weg, mit meiner Schuld umzugehen. Es ist nicht Teil der Therapie. Ich versuche durch das Buch einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.

Es ist auch ein Liebesroman, denn Sie haben während Ihres Psychiatrieaufenthalts eine Frau kennengelernt, die dort gearbeitet hat, und sie sind allen Widrigkeiten zum Trotz ein Paar geworden. Wäre Ihr Weg zurück ins Leben ohne diese Beziehung möglich gewesen?

Illigen Ja, aber er wäre anders verlaufen. Durch diese Liebesbeziehung gab es ein viel konkreteres Ziel, eine größere Motivation für mich, die Zeit in der Forensik durchzustehen.

Kann man sagen, die Liebe hatte die Macht, Ihnen aus der Erkrankung herauszuhelfen oder ist Ihnen das zu kitschig?

Illigen Das klingt kitschig, aber das ist schon wahr.

Für Ihre Freundin war es ein Risiko, sich auf einen Patienten einzulassen?

Illigen Ja, aber ich war nie ihr Patient, und wir sind erst ein Paar geworden, als ich die Psychiatrie verlassen habe. Wir leben jetzt jeder in seiner Wohnung, verfolgen beide unsere beruflichen Wege, wir haben ein völlig ausgeglichenes Verhältnis zueinander, unternehmen ganz normale Dinge, haben dieselben Schwierigkeiten wie andere Paare auch.

Sie haben eine Schwester und einen Bruder, die durch Ihre Tat ihren Vater verloren haben, aber von Anfang an zu Ihnen gestanden haben. Wie war das möglich?

Illigen Das hat wohl damit zu tun, dass wir unsere Mutter sehr früh verloren haben. Ich war damals dreieinhalb. Wir waren oft auf uns allein gestellt, mussten einander vertrauen. Ich glaube, da liegt das große Verständnis zwischen uns begründet.

Wie ist Ihr Verhältnis heute?

Illigen Meine Geschwister haben individuelle Wege gefunden, mit mir umzugehen, sie waren und sind immer solidarisch. Der Tod unseres Vaters war natürlich auch für sie eine ungeheure Zäsur, aber sie haben in ihre Normalität zurückgefunden. Mein Bruder ist mehrfacher Vater geworden, meine Schwester ist aus Österreich weggezogen, sie erfüllen sich ihre Träume.

Was machen Sie im Moment beruflich?

Illigen Ich konzentriere mich gerade ganz auf das Buch, gehe im Juni auf eine Lesereise, plane mein nächstes Buchprojekt und bin künstlerisch tätig, male, mache Graphiken. Aber ich schmiede keine großen Zukunftspläne, ich mache eins nach dem anderen.

Haben Sie Angst vor einem Rückfall?

Illigen Nein. Ich habe mich über lange Zeit stabilisiert. Und das wurde auf die Probe gestellt während meiner Zeit in der Forensik, die extrem anstrengend und stressig war. Ich bin weiter in Behandlung, würde also viel schneller auffallen und Hilfe bekommen, wenn sich mein Zufall verschlechterte. Ich nehme auch weiter Medikamente, die geben Schutz und einen gewissen Halt. Ein psychotischer Rückfall würde auch nicht gleich bedeuten, dass ich wieder gefährlich wäre für andere. Solange ich aber sensibel für mich bin, meine Signale wahrnehme, habe ich keine Angst vor einem Rückfall. Ich fühle mich wie in einem sicheren Netz.

Kann man aus Ihrem Fall etwas lernen?

Illigen Ja. Wir sollten heute sensibilisiert sein für psychische Erkrankungen, damit es für Menschen, die abdriften, Hilfe gibt. Es sollte in unserer Gesellschaft kein Problem sein, sich psychiatrisch behandeln zu lassen, sogar Psychopharmaka zu nehmen, weil das ein Wendepunkt sein kann. Eine Therapie kann einem ein neues Leben ermöglichen.

Dorothee Krings führte das Interview

(RP/jre)
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