US-Bestseller Ein Buch wie das Netz

Jarett Kobeks bitterböser Debütroman "Ich hasse dieses Internet" ist außergewöhnlich anstrengend – und beinahe genau so wichtig.

US-Bestseller: Ein Buch wie das Netz
Foto: S. Fischer Verlage

Jarett Kobeks bitterböser Debütroman "Ich hasse dieses Internet" ist außergewöhnlich anstrengend — und beinahe genau so wichtig.

"Ich hasse dieses Internet" ist kein Buch über das Internet. Aber auch nicht weniger, sondern mehr: Der quasi unbekannte Autor Jarett Kobek (38) bedient sich in seinem im Selbstverlag veröffentlichten Buch, das in den USA zum Bestseller avancierte, vielmehr der Mittel des Internets, um nahezu alle anderen denkbaren Themen zu streifen. Zum Beispiel Geld; "Die Einheit, in der Demütigung gemessen wird".

Sklaverei: "Man konnte seinen Besitz vergewaltigen und neuen Besitz erzeugen, und dieser neue Besitz brachte einem mehr Geld ein. Es war eine feine Zeit, um Menschen zu besitzen. Es war eine schlechte Zeit, um Besitz zu sein."

Oder auch die Ausbootung des uneitlen Comic-Genies Jack Kirby, der unter anderem die "X-Men", "Iron Man" und "Hulk" erfand, mit denen Milliardenumsätze gemacht werden, an denen er zu Lebzeiten praktisch überhaupt nicht beteiligt wurde.

All das beschreibt Kobek absichtlich erratisch. Nicht nur die bunt collagierten Gags und Definitionen und Listicles, auch und vor allem die Brüche und Sprünge dazwischen sind ihm wichtiger als Handlung und Charaktere. Die einzige Konstante des Buchs ist seine völlige Abwesenheit jeder Konstanz. Statt einer kurzen Geschichte des Webs oder seiner Abgründe liefert er eine 360 lange Wutrede, einen "rant", über fast alles.

Viele Perlen finden sich darin, inmitten von viel Belanglosem. Ein Buch wie die Wikipedia eben, ach was, wie das Internet selbst. Es ist anstrengend zu lesen, aber eben auch wichtig. Dutzende, wenn nicht hunderte Male wiederholt Kobek etwa, dass dieser oder jene Promi oder Konzernboss hellhäutig sei, in seinen Worten: "Er hatte wenig Eumelanin in der Basalschicht seiner Epidermis". Schon beim dritten oder vierten Mal hasst man diesen Satz, aber das tatsächliche Ausmaß von Diskrimierung wird einem durch die unablässige Konfrontation damit klarer denn je.

Die erschreckende, abgründige Welt von Ende 2016, in der Meinungen immer häufiger Fakten trumpfen, solange diese Meinungen nur Facebook-Likes, Instagram-Herzchen und Retweets sammeln, umschreibt "Ich hasse dieses Internet" sehr gut.

Kobek selbst ist übrigens kein Rebell ohne Grund. Soziale Medien boykottiere er nicht deshalb, weil es dort nichts Kreatives und Kluges zu sehen gäbe, sagt er — sondern weil er überzeugt ist, die dort teils geäußerten "unglaublich tollen Gedanken, Jokes und Sprüche" seien woanders besser aufgehoben. Den status quo der Sozialkritik beschreibt Kobek trocken so: "Sie tippten auf von Sklaven zusammengebauten Geräten Lektionen in Sachen Moral für Plattformen der Meinungsäußerungen, die dem Patriaracht gehörten, und brachten dem Patriarchat damit Geld ein. Irgendwie sollte so das Patriarchat zerstört werden." Echte Revolutionen könnten sich nur jenseits der "Atmosphäre des Wahnsinns" ereignen, die Donald Trump und seine Befürworter zuletzt bis zum Siedepunkt angeheizt hätten. Also — huch! — offline.

(tojo)
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