250-mal am Tag "Guten Tag", 250-mal "Auf Wiedersehen". 500-mal "Danke" und 200-mal "Haben Sie eine Kundenkarte". Das Arbeitsleben an der Kasse ist nicht gerade abwechslungsreich. "Ein Roboterdasein", fragt die Französin Anna Sam in ihrem Buch "Die Leiden einer jungen Kassiererin"? Und verneint. Denn ein Roboter lächelt nicht.

Die 29-Jährige ist zweifelsohne Frankreichs bekannteste Supermarkt-Kassiererin. Die studierte Literaturwissenschaftlerin arbeitete jahrelang in einem Großmarkt in Rennes. Ihre Erlebnisse begann sie in dem Weblog "Les Tribulations d'une cassiére" aufzuschreiben — und wurde zum Star. Ihr Buch ist nun auch in Deutschland erschienen, ebenso wie in zahlreichen anderen Ländern.

In dem kleinen Band geht es weniger um Ausbeutung und Ungerechtigkeiten. Die junge Autorin betreibt vielmehr so etwas wie Sozialstudien. In kaum einem anderen Beruf lassen sich täglich so viele Menschen beobachten. Und was die Sache besonders speziell macht: Von ihrem Platz hinter der Kasse aus hat sie einen Blick auf das unverfälschte Leben.

Denn wer von den Kunden beachtet schon die Gestalt da hinterm Laufband, die die Waren über den Scanner zieht? Die meisten benehmen sich so, als ob sie allein wären. Wer hat schon Zeit für soziale Standards im Supermarkt?

Mehr noch: Einige lassen die Frau an der Kasse auch spüren, dass sie nicht viel von ihr halten. "Ihr Kassiererinnen seid doch sowieso alle Schlampen" ist da noch leichter zu ertragen, als als abschreckendes Beispiel für Kinder missbraucht zu werden: "Wenn du in der Schule nicht fleißig bist, wirst du einmal Kassiererin so wie diese Frau da", belehrte einmal eine Mutter ihr Kind vor der staunenden Anna Sam.

Sie hat das Beste daraus gemacht und alles aufgeschrieben. Mit einem feinen Gespür für die Untiefen des Alltags beobachtet und seziert sie das Geschehen inmitten der millionenfachen Bieps. "Sind Sie frei?", heißt es in ihrer Alltagswelt immer wieder und meist hält sie dem lächelnd ein "Ich nicht, aber Sie vielleicht?" entgegen.

Unterschiedlichste Kundentypen

Anna Sam betreibt Kundenkunde. Viele werden sich in ihren Beobachtungen wiederfinden. Zum Beispiel dem Typen, der in aller Frühe als erster an die Theke stürmt und aufs Tempo drückt, als ob er auf der Flucht wäre. Vielleicht auch in dem Laufband-Strategen, der mit einem leeren Wagen die Kasse blockiert, um später mit einem Haufen Waren beladen seinen Platz einzufordern. Die meisten aber gehören wohl zu der großen Gruppe, die schweigend und mit stumpfem Blick die Einkäufe in die Tasche schiebt.

Das klingt trauriger als das Buch in Wirklichkeit ist. Anna Sam schreibt mit liebevoller Ironie. Immer noch besser einer von den Spaßvögeln, die mit der Frage "Haben Sie auf mich gewartet?" an die Kasse kommen als einer von den Schweigern. Die Arbeit an der Kasse kann sogar regelrecht Vergnügen bereiten. Zum Beispiel, wenn sich wieder einer der "Hochnotpeinlichen" nähert, um möglichst heimlich eine Packung Kondome oder gar eine Erotik-DVD aufs Band zu schmuggeln.

Dass Anna Sams Erfahrungsschatz aus dem Supermarkt in Rennes durchaus Parallelen zu unserer Einkaufswelt in Deutschland aufweist, zeigen die zum Teil aberwitzigen Einkaufsanekdoten unserer Leser. In unserem Leserportal OPINIO gibt es zahlreiche davon. Manche unserer User beschreiben darin lustvoll den Kampf an der Fleischtheke, andere ihre schwankenden Gefühle an Kasse 8. Eine Auswahl der schönsten Anekdoten und Meinungen zur schönen Horror-Einkaufswelt finden Sie >>>hier.