Fanny Morweiser: Un joli garçon

Der "joli garçon", der hübsche Junge, ist der junge Anwalt Ewald Korwan, aus bestem Hause, noch immer von der besten aller Mütter hingebungsvoll bemuttert, ausgestattet mit einem schicken Appartement und einem teuren Auto. Er sieht sich denn auch schon als Staranwalt, als er durch Beziehungen in eine renommierte Kanzlei aufgenommen wird.

Der Alltag sieht zunächst viel banaler aus: Der Samenflug einer Birke und das Gebell eines Hundes sind die Stoffe seiner ersten Fälle. Unvermittelt muss er jedoch für einen erkrankten Kollegen eine Mietgeschichte übernehmen und gerät an ein liebenswertes und ehrenwertes Haus mit Multikulti-Mietern. Seine Aufgabe: Er soll Beschwerden der Bewohner entgegennehmen, diese aber gleichzeitig mit Mieterhöhungen aus dem Haus ekeln.

Die Hausbewohner könnten unterschiedlicher nicht sein. Da gibt es die Schrulligen: Frau Winterkorn, ein Löwe hat ihr einen Arm abgebissen, sie lebt mit dem Geist ihres abgehauenen Ehemanns. Herr Holl sitzt im Rollstuhl und schreibt Liebesbriefe an seine Studentenliebe. Der asiatische Opernsänger übt seine Arien auf dem Balkon und träumt davon, mit der Callas zu singen. Aber auch bodenständigere Mieter leben im Haus: Anita und Willi, er Fabrikarbeiter mit einem illegalen Tätowier-Atelier im Hinterzimmer, sie Kioskfrau.

Die WG besteht aus zwei Studenten und einer Studentin, allesamt sympathisch, chaotisch und doch pragmatisch, was man auch von der alleinerziehenden Saskia sagen kann und vom türkischen Änderungs-Schneider Ertrogul mit seiner Frau und den sieben Kindern. Als Hausmeister, aber den Mietern verpflichtet, lebt auch Bruno, der Bruder des Hausbesitzers, im Haus, betreut von einer alten Prostituierten. Fanny Morweiser erzählt die Geschichten und den Alltag dieser Menschen. Sie tut das in einer Weise, dass die Figuren dem Leser näher kommen und ihm lieb werden. Dasselbe passiert dem Anwalt Ewald. Damit ist natürlich nicht mehr daran zu denken, dass er die Mieter aus dem Haus ekelt. Im Gegenteil, er entfernt sich immer mehr von seiner angestammten Welt. Das sichtbare Zeichen dafür: Er lässt sich jeden Samstag von Willi einen Schmetterling auf die Haut ritzen.

Bis dahin ist das Buch unterhaltend, heiter, nicht anstrengend aber auch nicht anspruchslos. Ein Buch zum Vergnügen, zum Entspannen so ganz nach dem Motto: Alle haben im Leben ihr Kreuzchen zu tragen, aber auch alle haben ihre guten Tage. Wenn es die Autorin doch dabei hätte bewenden lassen! Aber nein - plötzlich muss noch gestorben werden, es gibt gruselige Geister- und Friedhofsszenen. Es entsteht der Eindruck, Morweiser habe krampfhaft nach einem spannenden Ende gesucht. Oder will sie vielleicht selbst die Mieter aus dem Haus vertreiben, nachdem es dem jungen Ewald nicht gelungen ist? Dabei bietet sich die Verkupplung von Ewald, die seiner Mutter so gründlich missrät, als Ende zum Schmunzeln geradezu selbstverständlich, heiter und unverkrampft an.

(254 Seiten)

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