Erfolgsschriftstellerin angeblich enttarnt Heißt Elena Ferrante in Wirklichkeit Anita Raja?

Rom · Für ihre Fans wäre es eine Tragödie, wenn sie ihre Drohung wahr machen würde: Elena Ferrante, die italienische Erfolgsschriftstellerin ("Meine geniale Freundin"), hatte einmal für den Fall ihrer Enttarnung angekündigt, dass sie das Schreiben an den Nagel hängen würde.

Heißt Elena Ferrante in Wahrheit Anita Raja?
Foto: dpa, bsc

Nun will ein italienischer Enthüllungsjournalist angeblich herausgefunden haben, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt: die Übersetzerin Anita Raja, die für Ferrantes Verlag Edizioni e/o tätig ist und in Rom lebt. Ihr Name war bereits früher im Rätselraten um die Identität gefallen.

Der Journalist Claudio Gatti folgt in seinem Artikel in der Sonntagsbeilage der Wirtschaftszeitung "Il Sole 24 ore" der "Spur des Geldes". Demnach gelangte er an Unterlagen des römischen Verlages. Aus denen gehe hervor, dass die Honorarzahlungen an Raja seit dem Riesenerfolg der englischen Version von Ferrantes Neapel-Tetralogie auf dem amerikanischen Markt exponentiell gestiegen seien.

Mit der schlecht bezahlten Tätigkeit einer Übersetzerin sei das einfach nicht zu erklären, schreibt Gatti in dem Artikel, der am Sonntag auch in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", der amerikanischen Zeitschrift "The New York Review of Books" und auf der französischen Website Mediapart erschien.

Auf mehr als einer Seite breitet Gatti seine Recherche in der FAZ aus. Anita Raja (63), die bei Ferrantes italienischem Verlag "Edizioni e/o" als Übersetzerin angestellt ist, wurde bei früheren Versuchen, die Autorin zu enttarnen, schon mehrfach als Urheberin der Romane Ferrantes ins Spiel gebracht. Gatti will ihr nach mehrmonatiger Suche und durch Einsicht in Grundbücher und Verlagsabrechnungen auf die Schliche gekommen sein. So soll Raja hochpreisige Immobilien gekauft haben, darunter eine Wohnung im Zentrum Roms für fast zwei Millionen Euro. Eine Frau, die lediglich Kafka und Christa Wolf ins Italienische übertrage, könne sich das nicht leisten, folgert er. Auch habe der Verlag die Zahlungen an Raja erhöht, 2015 um 150 Prozent, wie Gatti schreibt. Die Summe entspreche den Einkünften aus Tantiemen.

Ist die literarische Indizienkette schlüssig?

Gatti legt außerdem eine Art literarische Indizienkette vor. So sei Elena, wie die Hauptfigur im Roman heißt, auch der Name einer geliebten Tante Rajas. Nino, Elenas große Liebe im Roman, sei auch der Spitzname von Domenico Starnone, Rajas Ehemann. Allerdings lernen schon Literatur-Studenten an der Uni, dass ein Roman nicht etwas mit dem Leben des Autors zutun haben muss. Gattis Thesen dürften noch einige Diskussionen auslösen.

Anita Raja ist dem Bericht zufolge die Tochter einer in Worms geborenen polnisch-stämmigen Jüdin, die vor den Nationalsozialisten nach Italien floh, wo sie allerdings von den Faschisten drangsaliert wurde. In Neapel habe sie sich niedergelassen, Schauplatz von Ferrantes großem Werk. Es handelt von den Freundinnen Lila und Elena. Über vier Bände mit zusammen rund 1600 Seiten skizziert die Autorin deren Lebensweg über sechs Jahrzehnte.

Das alles soll also Raja geschrieben haben. Doch falls Gatti wirklich richtig recherchiert haben sollte, hat Ferrante in einem ihrer Interviews zumindest in einem Punkt gelogen. "Ich heiße Elena, bin eine Frau, und ich bin in Neapel geboren", sagte sie einem schriftlich geführten Dialog mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Aufhorchen lässt im Nachinein allerdings folgender Satz: "Schreiben ist nicht mein Beruf. Ich tue etwas anderes."

Mit seiner Enthüllungsstory machte sich Gatti nicht nur Freunde. Auf Twitter fragten viele Nutzer nach dem Sinn, Ferrantes Identität zu verraten. "Niemandens Identität sollte ohne dessen Einverständnis offengelegt werden", lautete einer der Kommentare. Denn es geht auch um die Aura des Geheimnisvollen, die die Frau umgibt.

"Für mich ist Neapel eine prophetische Stadt, sie nimmt das Schlimmste und das Beste der Welt vorweg", sagte Ferrante - oder Raja? - dem "Spiegel". Die erst Ende August erschienene deutsche Übersetzung des ersten Bandes wurde schon 250 000 Mal verkauft und schaffte es auf Platz 1 der "Spiegel"-Bestsellerliste.

Der Suhrkamp-Verlag, der im kommenden Jahr auch die übrigen drei Bände auf Deutsch publizieren will, wollte am Sonntag Gattis Beitrag nicht kommentieren. "Da unsere Autorin Elena Ferrante es vorzieht, ihre Anonymität zu wahren, werden auch wir uns zu Fragen, die ihre Identität betreffen, nicht äußern", sagte Sprecherin Tanja Postpischil.

Sollte Gatti recht haben, Elena in Wirklichkeit also Anita heißen und Ferrante nun die Schriftstellerei aufgeben, hätte sie nach den von Gatti recherchierten Honorarzahlungen aber schon jetzt für ihren Lebensabend in Rom ausgesorgt.

Elena Ferrante, Meine geniale Freundin: Band 1 der Neapolitanischen Saga (Kindheit und frühe Jugend), Suhrkamp, Berlin, 422 Seiten, 22,00 Euro, ISBN: 978-3518425534

(felt/dpa)
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