Hellmuth Karasek Tod eines literarischen Entertainers

Hamburg · Der Schriftsteller, Journalist und Kulturkritiker Hellmuth Karasek ist im Alter von 81 Jahren gestorben. In einem seiner letzten öffentlichen Auftritte rezensierte er den neuen Ikea-Katalog.

Die besten Zitate von Hellmuth Karasek
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Foto: dpa

Er war der, der beim Literarischen Quartett immer ein wenig zu tief im Designer-Sessel saß. Wie eingeklemmt. Und die Arme in unbequemer Haltung auf die Lehnen gehievt. Zu stören schien das Hellmuth Karasek nicht. Wichtig war ihm vor allem die Öffentlichkeit, und je größer die war, desto besser. Auch darum liebte er das legendäre Quartett im ZDF mit seinen 77 Folgen und fühlte sich Marcel Reich-Ranicki zu "tiefstem Dank" verpflichtet. Der hatte ihn in die legendäre Kritikerrunde berufen. Ihm sei mit der TV-Sendung "ein wunderbares Trampolin zur Verfügung gestellt" worden, sagte uns Karasek einmal. "Springen musste ich aber selber."

Gestern ist Hellmuth Karasek in seiner Heimatstadt Hamburg gestorben — im Alter von 81 Jahren. Und dass zur Todesursache nichts verlautbart wurde, gibt Spekulationen einen breiten Raum. Für die Beschreibung eines schönen Todes hat Hellmuth Karasek gerne Hans Huckebein in den Zeugenstand gerufen, den Unglücksraben bei Wilhelm Busch. Der verkündet mit seinem letzten Trinkspruch: "Er hebt das Glas und schlürft den Rest, weil er nicht gern was übrig lässt." So etwas schwebte auch Karasek vor: das Leben bis zur Neige ausgekostet zu haben. Doch dass es auch bis zur bitteren Neige geschehen müsse, bezweifelte der Kritiker stets.

Das Fernsehen hat Karasek — den damaligen Kulturchef des "Spiegel" — weit über den sogenannten Literaturbetrieb hinaus bekannt gemacht. Er war der glänzende Sidekick für Reich-Ranicki; und wenn sich der Chef kiebig, böse und unnachgiebig gab, blieb Karasek oft der gute Onkel und nette Plauderer, der am Ende die Versöhnung suchte und dem man nie wirklich böse sein konnte. Das lag auch an seinem Naturell. So oft hatte er sich als Student über seine Wirtinnen ärgern müssen. "Aber als ich meine Sachen packte, habe ich nie meine Meinung gesagt. In dieser Situation bin ich auch mit meinem Leben."

Hellmuth Karasek war nicht nur Kritiker; er war auch Mitwirkender, der den Betrieb mit eigenem Material reichlich fütterte. Ein paar Theaterstücke erschienen unter seinem Pseudonym Daniel Doppler. Auch Romane, darunter der Schlüsselroman über seinen früheren Arbeitgeber "Der Spiegel". Der große Knalleffekt blieb indes aus; schon deshalb, weil die literarische Qualität des Romans "Das Magazin" überschaubar blieb.

Die Abrechnung war die Folge einer tief gekränkten Eitelkeit. 1996 hatte der "Spiegel" einen Artikel zu Helmut Dietls Film "Rossini" abgelehnt. Für beide Seiten hatte der Streit das Zeug zu einem Stellvertreterkrieg: Dem "Spiegel" war Karasek mit seiner leichtfüßigen Umtriebigkeit seit längerem suspekt; Karasek wiederum sah im Dietl-Film eine Welt gespiegelt, die ihm wenigstens wichtig, wenn nicht gar wünschens- und lebenswert erschien.

Am beeindruckendsten sind sicherlich seine Lebenserinnerungen geraten, die er als 70-Jähriger schrieb. Über seine nazitreue Familie, seine Schulzeit in einer nationalpolitischen Elite-Erziehungsanstalt, die Flucht aus Schlesien, das Leben ist Ost- und später in Westdeutschland. Von all dem ist ihm eine gewisse Unruhe und Unbeständigkeit geblieben. "Auf der Flucht" ist darum nicht nur der Titel seiner Autobiografie, sondern auch sein Lebensmotto, das er gerne mit den Worten Alfred Polgar würzte: "Ich lebe überall ein bisschen ungern." Am längsten und liebsten lebte er ungern in Hamburg, für seine letzten drei Jahrzehnte nämlich. Als er damals beim Einzug seine 20.000 Bücher endlich in den Regalen verstaut hatte, kam ihm nur ein Gedanke in den Sinn: "Hier kommst du nur noch mit den Füßen nach vorn heraus." So komisch es auch klingt: Das Schreiben war nicht die große Stärke und damit auch nicht das Markenzeichen des Hellmuth Karasek. Ohnehin war der Film seine wahre Leidenschaft.

Woody Allen besuchte er bei den Dreharbeiten wie auch Billy Wilder. Für ihn als Entertainer des Geistes schien das Fernsehen wie geschaffen. Es hat ihn berühmt und ihn zu einer öffentlichen Figur gemacht, die zu jeder Zeit und zu allem befragt wird. Und Karasek folgte den Gesetzen des Mediums und gab zu jeder Zeit und zu fast allen Themen auch seine Antwort. Talk-Shows bekamen für ihn, besonders nach dem Ende des Quartetts, eine magische Anziehungskraft. Mit Karasek in der Runde versprach man sich einen intellektuellen Mehrwert jeder Sendung. Das ging sehr oft gut, war meist erhellend, stets unterhaltend — gelegentlich aber auch peinlich. In Erinnerung bleibt sein unguter Auftritt bei Günther Jauch zu einer damals erregt geführten Geschlechterdebatte, die Karasek mit kruden Ansichten über zu aufreizende Frauenkleidung begleitete.

Karasek schätzte Tratsch und Klatsch und liebte es, darüber zu erzählen. Witze gehörten zu seinem Repertoire und in die populäre Abteilung seines Gesamtwerks. Zuletzt — das war vor einem Monat — rezensierte er sogar den neuen Ikea-Katalog, den er als Roman ziemlich vermöbelte. Geschenkt, es war ein Werbevideo der Unternehmens. Einer seiner letzten öffentlichen Auftritte war somit die Karikatur seines Berufsstandes. Dabei soll das Kritikergeschäft auch im Fernsehen wieder erblühen. Morgen wird im ZDF mit Volker Weidermann ein Wiederbelebungsversuch des Literarischen Quartetts unternommen.

Einmal hat Hellmuth Karasek auch den Persönlichkeitstest der FAZ ausgefüllt. Auf die Frage, wie er sterben möchte, gab er damals zur Antwort: "Eigentlich überhaupt nicht."

(los)
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