Liselotte Pulver "Ich war ein ungeheurer Kobold"

Düsseldorf · Liselotte Pulver hat die Deutschen als Piroschka verzückt, im Spessart geräubert und mit Samson die Sesamstraße bewohnt. Heute lebt sie zurückgezogen in der Schweiz. In einem Interviewband blickt sie nun auf ihr Leben.

 Liselotte Pulver im Jahr 2013.

Liselotte Pulver im Jahr 2013.

Foto: dpa, ped htf hrm sab

Das Lachen natürlich. Diese übermütigen, offenherzigen, draufgängerischen Ausbrüche von Fröhlichkeit. Sie sind das Erkennungszeichen von Liselotte Pulver, Ausdruck einer tönenden Unbekümmertheit, die man ihr nur zu gern unterstellte. Es waren ja die Nachkriegsjahre, als sie ihre Karriere begann. Wie gern amüsierte man sich da über eine unschuldige junge Schweizerin, die so ausgelassen losprusten konnte. Und so frisch und keck die stupsnäsige Grafentochter gab im dunklen, deutschen Wirtshaus im Spessart. Sie sei ein "ungeheurer Kobold" gewesen, sagt Liselotte Pulver heute von sich selbst. Und eine Perfektionistin, die um Rollen kämpfte, sich akribisch vorbereitete, bis jede Geste saß. Denn das Leichte vor dem Seichten zu bewahren, ist schwere Arbeit. Sie war bereit dazu, von Anfang an.

Csárdás-Tänze und Blumen-Haarkränz

Da war ja immer auch dieser andere Wesenszug, ihr zweites Gesicht, Kohlhiesels trampelige Tochter, die sie genauso überzeugend spielte wie das Gewinnerkind. Oder die Piroschka, wie sie am Bahnhof steht und zusehen muss, wie ihr Schatz in den Zug steigt, sich gegen sie entscheidet, gegen das barfüßige Mädchen aus dem Ungarn der Csárdás-Tänze und Blumen-Haarkränze. Lilo Pulver konnte immer beides spielen, die ausgelassene Burschikose, mit der die jungen Helden Pferde stehlen wollten, und die verletzte Naive, die rührende Arglose, die das Schicksal umso härter trifft. Und natürlich sind Komikerinnen nur gut, wenn sie beides in sich tragen.

Doch die Pulver hat das erst einsehen müssen, ehrgeizig wie sie war. Sie wollte doch in Charakterrollen überzeugen, als Tragödin die Menschen zum Weinen bringen. Und sie hat ja Rollen gespielt wie die Madame de Chelles, eine lesbische Äbtissin in Jacques Rivettes Literaturverfilmung "Die Nonne". 1965 war das, der Film lief in Cannes und sorgte für Empörung. Doch solche Rollen waren Mühe, ihrer Veranlagung entsprachen sie nicht. Schon eine ihrer ersten Schauspiel-Lehrerinnen, Margarethe Schell-von Noé, die Mutter von Maria und Maximilian Schell, hatte ihr das prophezeit: "Du bist komisch. Du musst Buben spielen", gab sie ihr mit auf den Weg. Und so kam es, in Hosenrollen konnte sie ihre ganze Spitzbübigkeit ausspielen.

Angebote aus ganz Europa

In ihrer Heimatstadt Bern, wo sie 1929 geboren wurde, hat ihre Karriere begonnen. Dort ging sie zur Schauspielschule, nachdem sie dem Sicherheitsdenken des Vaters entsprochen und den Abschluss an einer Handelsschule gemacht hatte. Ein schweizerisch solides Fundament, nun konnte das Künstlerleben beginnen. Nach wenigen Auftritten am Theater spielte sie 1949 in der Schweizer Film-Komödie "Ein Seemann ist kein Schneemann" und kurze Zeit später schon mit Hans Albers in dem Bergdrama "Föhn".

Sie bekam Angebote aus Frankreich, spielte in Gaunerkomödien etwa an der Seite von Jean Gabin, doch wirklich geliebt wurde sie in Deutschland. Dort drehte sie Stoffe, die bis heute gesendet werden. Sonntagnachmittag-Filme, die es behaglich machen im Wohnzimmer: "Das Wirtshaus im Spessart", "Buddenbrooks", "Kohlhiesels Töchter", viele Jahre später "Das Superweib". Sie war ehrgeizig, arbeitete hart an ihrem Fortkommen, war zugleich oft unentschlossen, wenn ihr das Potenzial eines Drehbuchs unberechenbar erschien.

So war es auch beim Ausflug nach Hódmezovásárhelykutasipuszta, in jenes ungarische Kaff, in dem "Ich denke oft an Piroschka" spielt. Den Namen des Ortes kann die Pulver bis heute aufsagen, ohne zu stocken. Er hat sich ihr eingebrannt, denn der Film sollte ihr Leben verändern, sollte ihr den endgültigen Durchbruch bescheren. Das liegt wohl daran, dass er vor prächtiger folkloristischer Kulisse eine tragisch-schöne Herzschmerzgeschichte erzählt. Vor allem aber an Pulvers beherzter Fröhlichkeit, die durch den Liebeskummer nur noch effektvoller hervortritt. Als Piroschka verhinderte Lilo Pulver, dass eine rührselige Geschichte im Sentimentalen versinkt, sie war so voller Energie und Spielfreude, man musste dieses Puszta-Mädchen gern haben. Sie aber hatte gefürchtet, eine Rolle, in der sie die ganze Zeit mit starkem ungarischen Akzent sprechen muss, käme bei den Deutschen nicht gut. Sie hatte sich getäuscht.

Die junge Pulver war eine Draufgängerin, die Pferde liebte, extravagante Autos fuhr. Das erzählt sie nun in einem langen Interview, das sie den Journalisten Olaf Köhne und Peter Käfferlein gegeben hat und das als Buch erschienen ist. Obwohl sie sich doch schon vor Jahren in die Schweiz zurückgezogen hat, in Bern in einem Stift lebt und mit derselben Disziplin, mit der sie früher arbeitete, heute der Öffentlichkeit fernbleibt. Bei allem Übermut war sie immer solide, eine Handwerkerin, die ohne Allüren zum Star wurde. So eine konnte man für eine Kindersendung verpflichten. Und so ist ihr Gesicht für jene, die in den 70er Jahren aufwuchsen, verbunden mit Samson, dem gutmütigen Zottelbären aus der Sesamstraße, dem sie immer so kameradschaftlich aufs Fell klopfte. Bis 1983 blieb sie der Kinderserie treu.

Auch das ist einer ihrer Wesenszüge. Als sie 1959 bei den Dreharbeiten zu "Gustav Adolfs Page" ihren Kollegen Helmut Schmid kennen lernte, stand sie "gleich in Flammen" - und blieb mit ihm zusammen. Die beiden heirateten, bekamen zwei Kinder, führten eine beständige Ehe, bis er 1992 starb. Den Ehering trägt sie bis heute.

Der Tod ihres Mannes war der eine große Einschnitt in ihrem Leben. Der andere das Unglück ihrer Tochter Mélisande. Die stürzte 1989 im Alter von 21 Jahren vom Berner Münster. Bis heute sei unklar, was damals geschehen ist, sagt Lilo Pulver heute. Die Tochter, die früh daheim auszog, Schauspielerin werden wollte, sei ihr entwachsen.

Liselotte Pulver wird am Dienstag 87 Jahre alt. Sie hat als eine der erfolgreichsten Kinostars in Deutschland den Ruhm genauso verkraftet wie die Schicksalsschläge. Wie viel Kraft und Disziplin das gekostet hat, ahnt man. Auf die Frage nach dem Glück antwortet sie: "Glück ist, was geglückt ist."

(dok)
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