Autor Manfred Lütz Glück hat nichts mit Erfolg zu tun

Düsseldorf · Der Buchmarkt wird überschwemmt mit Glücksratgebern. Ein neues Buch geht einen anderen Weg: Es ermuntert zum Selberdenken.

 Mediziner, Theologe und Anti-Glüksratgeber: Manfred Lütz.

Mediziner, Theologe und Anti-Glüksratgeber: Manfred Lütz.

Foto: Verlag Droemer Knaur / Jana Kay

Er ist Mediziner, Philosoph und Theologe - und nun will uns der als Psychotherapeut arbeitende Bestsellerautor Manfred Lütz auch beibringen, glücklich zu werden. Doch dazu gibt einem der 61-jährige Kölner keine Rezepte an die Hand oder eine Art Glücks-Kur. Weil Lütz davon überzeugt ist, dass jeder Mensch unvermeidlich glücklich werden kann und dafür auch selbst verantwortlich ist. Manfred Lütz' neues Werk, das jetzt auf der Buchmesse präsentiert wird, ist kein Handbuch, sondern versteht sich als Aufklärungswerk über die Psychologie des Gelingens.

Würden Sie sich selbst als einen glücklichen Menschen bezeichnen?

Lütz Diese Frage stelle ich mir selbst meistens nicht. Wer auffällig viel über Gesundheit redet, ist meistens krank. Und wer sich dauernd überlegt, ob er glücklich ist, ist wahrscheinlich unglücklich.

Es gibt so viele Glücksbücher, warum musste denn jetzt noch eins geschrieben werden? Ist nicht schon alles längst gesagt?

Lütz Ich verstehe mein Buch eigentlich als einen Anti-Glücksratgeber. Diese ganzen Glücksbücher schlagen doch eine Schneise der Verwüstung durch Deutschland. Wer in den Buchhandlungen die endlosen Ratgeber-Regale sieht, fühlt sich am Ende für sein eigenes Leben nicht mehr kompetent. Das macht nicht gerade glücklich. Da schreibt dann ein Autor, wie er selbst glücklich geworden ist. Da Glück aber sehr persönlich ist, kann der Leser das so gar nicht erreichen, und damit entpuppen sich all diese Glücks- und Erfolgsbücher als kostspielige Anleitungen zum Unglücklichsein. Würden die wirklich funktionieren, müsste ja eigentlich ein letzter Ratgeber reichen. Stattdessen gibt es einen Glücks-Buch-Tsunami.

Was ist denn Ihr Sonderweg?

Lütz Es gibt nicht den einen Weg, es gibt ziemlich genau sieben Milliarden Wege zum Glück, und ich versuche, Menschen dazu zu ermutigen, selbstbewusst ihren eigenen Weg zu finden. Dazu ist es nützlich, die ganz unterschiedlichen Ideen der gescheitesten Menschen der Welt zu kennen und dann selbst zu entscheiden. Das Buch enthält deswegen eine Geschichte der Philosophie des Glücks, die mein Friseur auf Allgemeinverständlichkeit kontrolliert hat. Sokrates ist auf den Marktplatz gegangen und hat jeden Einzelnen aufgefordert: Erkenne dich selbst!

Ist Ihrer Meinung nach die Vielzahl der Ratgeber eine Entmündigung der Menschen?

Lütz Ja. Die Welt wird immer unübersichtlicher, und das Tempo der Veränderungen ist so schnell wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Das verunsichert, und so erhofft man sich Sicherheit von Experten. Das mag ja bei technischen Problemen auch sinnvoll sein. Aber der einzige wirkliche Experte für mein eigenes Leben bin nach wie vor ich selbst. Niemand sonst kann wissen, was ich fühle, was mir wichtig ist, wen ich liebe. Um glücklich zu sein, kann ich mich von außen anregen lassen, aber wenn ich mich bloß bemühe, irgendeinem Glücks-Guru zu folgen, verliere ich mich selbst.

Lässt sich überhaupt formulieren, was Glück ist? Oder geht es nur durch Ausschluss dessen, was unglücklich macht - indem ich mir beispielsweise pausenlos Ziele setze, die ich nie werde erreichen können?

Lütz Das Utopiesyndrom hat Paul Watzlawick das in seiner berühmten "Anleitung zum Unglücklichsein" genannt, der mein Buch viel verdankt. Tatsächlich ist schon viel gewonnen, wenn man die Irrwege des Glücks meidet. Theoretische Glücksdefinitionen helfen übrigens auch nicht weiter. Jeder Mensch meint ein bisschen etwas anderes, wenn er sagt: Ich bin glücklich.

Dann gibt es also kein Rezept?

Lütz Wenn es bloß um Glücksgefühle gehen würde, die kann man am sichersten durch Heroin produzieren, allerdings mit lästigen Nebenwirkungen. Das geht auch mit einer Elektrode im Gehirn. Doch ich habe niemanden gefunden, der das wirklich wollte. Tiefes Glück kann wohl nur gelingen, wenn man einen Sinn im Leben sieht und sogar in den Grenzsituationen menschlicher Existenz, also angesichts von Schuld, Leid, Kampf und Tod, noch so etwas wie Glück spüren kann.

Und das ist heutzutage schwerer als früher geworden?

Lütz Vielleicht. Es fehlt an spirituellen Ressourcen. Religion fällt da weitgehend aus, weil Christentum in unseren Breiten fast nur noch mit Themen rund um die Geschlechtsorgane in Verbindung gebracht wird.

Sind denn Christen glücklicher? Anders gefragt: Hält das Christentum eine Glücksgarantie für seine Mitglieder vor?

Lütz Der britische Autor C.S. Lewis hat einmal gesagt, er sei nicht Christ geworden, um glücklich zu werden, er habe immer schon gewusst, dass das eine Flasche Portwein bestens bewerkstellige. Der Taufschein garantiert natürlich gar nichts. Aber eine tiefe religiöse Geborgenheit kann wahrscheinlich ein gutes Fundament für Glück sein.

Gehört zum Glückserlebnis auch die Erfahrung, dass alles endlich ist und es auf den Augenblick ankommt?

Lütz Im pompeianischen Bordell sind Totenschädel an die Wände freskiert als Aufforderung: Mensch, denke daran, dass du stirbst, und lebe jeden Tag lustvoll, carpe diem, pflücke den Tag. Im Bewusstsein der Unwiederholbarkeit jedes Moments kann man ganz tiefe Glückserfahrungen machen. Vor allem darf man sein Glück nicht vom Erfolg abhängig machen. Ein gelungenes Leben ist nicht unbedingt ein erfolgreiches Leben.

Und das vermitteln Sie auch Ihren Kindern?

Lütz Bei einem Fest zum 18. Geburtstag meiner ältesten Tochter habe ich ihr keinen Erfolg im Leben gewünscht. Ich habe ihr gesagt, dass sie keine guten Noten in der Schule haben müsse. Sie solle vielmehr die Fähigkeiten, die sie habe, engagiert einsetzen. Ob sie damit dann Erfolg habe, das hänge von so vielen Zufällen ab, das sei nicht wirklich wichtig. Und sie solle weiter Gutes tun. Denn schon die alten Griechen wussten: Wahrhaft glücklich ist nur, wer auch ein guter Mensch ist.

(los)
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