Steigende Beliebtheit "Mein Kampf" stürmt türkische Bestseller-Listen

Ankara (rpo). Die türkischen Buchläden freuen sich derzeit über einen Verkaufserfolg von mehr als zweifelhafter Natur: Adolf Hitlers "Mein Kampf" erobert am Bosporus die Bestseller-Listen. Zehntausende Exemplare gingen allein in diesem Jahr schon über die Ladentheken.

Das berüchtigte Buch sei schon immer "ein Schläfer, ein heimlicher Bestseller" gewesen, verrät Oguz Tektas. Der Mitarbeiter des türkischen Verlags Mefisto weiß genau, warum seine Firma Adolf Hitlers politisches Grundsatzwerk "Mein Kampf" wieder ins Programm genommen hat: "Wir haben es aus rein kommerziellen Gründen aus dem Schrank geholt."

Mefisto ist mitnichten der einzige Verlag, der das Kultbuch der Rechtsradikalen in der Türkei wieder auf den Markt gebracht hat. Seit Jahresbeginn wurden in dem EU-Kandidatenland mindestens 50.000 Exemplare von "Mein Kampf" verkauft. Die Buchhandelskette "DR" führt das 1925 erstmals veröffentlichte Buch mittlerweile auf Verkaufsrang vier.

Der Mefisto-Verlag habe mit der Neuveröffentlichung nur ein einziges Ziel, beteuert Tektas: "Geld machen." In den vergangenen Jahren bewegte sich der Gesamtabsatz des zweifelhaften Werks auf dem türkischen Markt bei einem Preis von umgerechnet gut elf Euro stets im Bereich von 20.000 Exemplaren jährlich. Bei einem "Kampfpreis" von mittlerweile nur noch umgerechnet 3,30 Euro konnte allein Mefisto jetzt in nur zwei Monaten 23.000 Exemplare unter die Leute bringen.

Die Käufer des Buches, das der spätere Diktator und Massenvernichter Hitler 1924 gemeinsam mit Rudolf Heß während seiner Festungshaft in Landsberg zu schreiben begann, seien in erster Linie Menschen, "die etwas über einen Mann wissen wollen, der Tod und Vernichtung über die Welt gebracht hat", sagt Verlagsmann Tektas. Der Eigentümer des Verlagshauses Emre, Sami Kilic, hat als Abnehmer "vor allem junge Leute" ausgemacht. Sein Verlag verkaufte schon 26.000 Exemplare einer Ende Januar herausgebrachten Auflage von 31.000 Stück. Bald muss nachgedruckt werden.

"Die Zeiten, in denen wir leben, haben definitive Auswirkungen auf den Verkauf", versucht Kilic eine Erklärung. "Es ist ein erstaunliches Phänomen." Das Interesse an "Mein Kampf" hänge möglicherweise mit der EU-Kandidatur des Landes zusammen, die rechtsgerichtete Kräfte als Abkehr von traditionellen nationalen Werten auffassten. Zudem spiele zunehmende Abneigung gegen die USA und Israel eine Rolle, deren Verhalten gegenüber Irakern und Palästinensern bei den Türken nicht gut ankomme, vermutet Kilic weiter.

Das Buch, "das nicht ein einziges Gramm Menschlichkeit enthält", werde "in diesem Land unglücklicherweise ernst genommen", befand der Politikwissenschaftler Dogu Ergil vor kurzem in einem Zeitungsinterview. Auch Ergil vertritt die Auffassung, dass die unerwartete Beliebtheit von "Mein Kampf" ihre Wurzeln im steigenden Anti-Amerikanismus wegen des Irak-Kriegs und in der zunehmenden anti-israelischen Stimmung angesichts der Lage der Palästinenser habe. "Nazismus, einst in Europa im Mülleimer der Geschichte vergraben, ist wieder auf dem Vormarsch", lautet die Warnung des Politologen.

Doch die irritierenden Absatzzahlen von "Mein Kampf" lassen leicht in den Hintergrund geraten, dass die im Zweiten Weltkrieg neutrale Türkei niemals ein antisemitisches Land war. Im Gegenteil: Seit dem 15. Jahrhundert war der türkische Teil des Osmanischen Imperiums ein sicherer Zufluchtsort für Juden, als Sultan Bayezit II. erstmals spanische Juden aufnahm, die der Inquisition entkamen. Auch nach der Republikgründung 1923 hielt die Türkei Juden, die vor Pogromen oder Konzentrationslagern flüchteten, stets die Tore offen.

Das Oberhaupt der 22.000 Mitglieder umfassenden jüdischen Gemeinde in der Türkei, Silvyo Ovadya, zeigt sich gleichwohl verunsichert von dem Verkaufsboom von "Mein Kampf". Er sei erstaunt, dass "ein 500-Seiten-Buch, dass die Saat des Rassismus und Antisemitismus sät, sich für so einen niedrigen Preis verkauft". Seine Beschwerden bei den verantwortlichen Verlagshäusern seien jedoch unberücksichtigt geblieben, sagt Ovadya enttäuscht.

(afp)
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