Lesung in Köln Michel Houellebecq: "Ich habe keine Ahnung"

Köln · Dieses Buch scheint ein Kommentar dieser Tage mit den Attentaten von Paris und den "Pegida"-Demos zu sein. Am Montagabend stellte Michel Houellebecq in Köln erstmals seinen neuen Islam-Roman "Unterwerfung" öffentlich vor. In Deutschland geht das Buch in die vierte Auflage, wie der DuMont Buchverlag am Dienstag mitteilte.

 Michel Houellebecq hat in Köln erstmals seinen neuen Islam-Roman "Unterwerfung" öffentlich vorgestellt.

Michel Houellebecq hat in Köln erstmals seinen neuen Islam-Roman "Unterwerfung" öffentlich vorgestellt.

Foto: ap

"Pegida" ist an diesem Abend anderswo. Einige Kilometer rhein- ab, in Düsseldorf und neuerdings auch in Duisburg. In Köln aber ist Michel Houellebecq, das französische Autorenphänomen, der literarische Seismograph unserer Zeit, der in seinem neuen Roman "Unterwerfung" - am Tag der Pariser Attentate erschienen - den Sieg des Islams prophezeit und den müden Untergang der westlichen Welt konstatiert. Aber erst im Jahr 2022.

Noch also ist es nicht so weit. Noch rätseln wir über die Zukunft des Abendlandes und lauschen dem 58-jährigen vermeintlichen Zukunftssatiriker im Kölner Depot, dem Ausweichquartier des Schauspielhauses. Sicherheitskontrollen dort schon am Eingang, na klar. Die Angst ist nicht klein, und gestorben ist Houellebecq ja ohnehin schon. Das war vor fünf Jahren, als er in seinem Roman "Karte und Gebiet" seine bestialische Ermordung literarisch inszenierte.

Jetzt betritt der Totgeschriebene zum spektakulären Frühauftakt der Lit.Cologne die Bühne mit dickem Parka, als herrsche Eiszeit in Europa. Doch Houellebecq ist nicht frostig gestimmt, nicht einmal sonderlich nervös. Stattdessen hat er eine richtige Erklärung oder eine Art Richtigstellung vorbereitet, wie es heißt.

Doch aufs Blatt schaut er dann doch nicht. Spricht vielmehr in freier Rede davon, dass er mit "Unterwerfung" ja kein islamophobes Buch geschrieben habe und schreiben wollte und dass es vielleicht viel einfacher gewesen wäre, hätte er ein solch eindeutiges Werk geschrieben. Aber die Kraft der Literatur habe es anders mit ihm und den Lesern gemeint. Aber auch mit Frankreich, mit den Polizisten, die in der unklaren Situation des Attentats nicht alles richtig gemacht hätten, wie er sagt.

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Schließlich noch "Charlie Hebdo", das Journal, das ihn karikiert hatte und dessen Redakteure nicht bereit gewesen wären, in der bedrohlichen Situation Verantwortung zu zeigen. Das sagt er im gleichen, ruhigen Singsang. Schwer zu sagen, was ihn bewegt und ob ihn etwas bewegt. "Man muss kein Held sein, um Heldentaten zu vollbringen", sagt Houellebecq - inzwischen ohne Parka. Vielleicht müsse man nur stur sein; "und die Redakteure von Charlie Hebdo waren Sturköpfe". Zustimmung? Ablehnung? Kritik? Michel Houellebecq zitiert jetzt den großen französischen Aufklärer - Voltaire: Hätten wir nur noch drei Tage zu leben, sollten wir diese so leicht wie möglich verbringen, lautet die nicht ganz so gewichtige Botschaft.

Aber auch das ist ja eine Botschaft. Und dann die erste Lesung. Ob Houellebecq sie auswählte? Zumindest ging es darin erst einmal um ein wenig Sex. Denn bei Houellebecq ist der Sieg des Islams auch der vermeintliche Sieg des Mannes. "Schlampe" gehört dabei zu den behutsameren Worten.

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Im Gespräch mit dem Journalisten Nils Minkmar setzt er sich ab von den Schrecknissen der Gegenwart und leugnet jede Fähigkeit einer Weissagung. Nichts habe er beobachtet, alles sei nur literarisch beeinflusst. Ob er denn eine islamische Regierung auch in Frankreich gut fände? Darauf ein langes Brummen ins Mikro. Dann der Verweis auf seinen Helden im Roman, der früh bekennt, dass er keine eigene Meinung habe. Dann folgt ein etwas kürzeres Brummen. "Das ist ein Zeichen von Relativismus." Ganz kurzes Brummen bis zur Selbsterkenntnis: "Ich habe keine Ahnung."

Houellebecq ist inzwischen etwas tiefer in den Ledersessel gerutscht. War das wirklich das brisanteste Buch der vergangenen Tage? So kehrt der Franzose lieber zu sich zurück und erklärt, dass es gut für einen Autor sei, ein Buch zu schreiben, um ein weiteres Leben zu leben. Darin können dann selbst Exzesse voller Humor sein und Lust machen. "Wie morbide die Welt in der Literatur auch ist, es gibt noch eine Steigerung."

"Pegida" ist an diesem Abend anderswo. Die Wirklichkeit auch.

(RP)
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