Nachruf auf Willi Fährmann Der gutherzige Erzähler vom Niederrhein

Düsseldorf · Wollte man Willi Fährmann in drei Sätzen zu beschreiben versuchen, müsste man wohl diese wählen: Er war katholisch. War Rheinländer. Und einer der liebenswürdigsten Erzähler. Am Donnerstag ist er gestorben.

 Willi Fährmann auf einem undatierten Bild.

Willi Fährmann auf einem undatierten Bild.

Foto: dpa, mr vge

Die drei schnellen Beschreibungen werfen Nachfragen auf. Nach dem Katholisch-sein zuerst. Das ist tatsächlich so altertümlich, wie es schon klingt. Doch für Fährmann ist es zeitlebens relevant geblieben: für seine Lebensführung, für seine Bücher und seine Helden, die in Krisensituationen eben immer wieder im Glauben Halt und Zuversicht finden. Schließlich auch für seine jungen Leser, die bei Fährmann konfrontiert wurden mit einer Existenzerfahrung, die ihnen selbst die Kirchen manchmal schuldig blieben.

Die christliche Grundierung seiner Geschichten war mitunter aufdringlich, bewusst aufdringlich. Da wurden seine Bücher zum Transmissionsriemen seiner tiefen Überzeugung. Glaube und Literatur berührten sich bei Fährmann sehr natürlich zwischen zwei Buchdeckeln. "Wir wissen, dass unser Glaube vor allem in Geschichten und Bildern durch die Jahrhunderte weitergegeben worden ist. Es ist sehr wohl eine Aufgabe, dass diese Quellgründe nicht verschüttet werden", sagte er einmal. Fährmanns katholische Überzeugung mag unzeitgemäß wirken; in seinen Büchern aber hat er immer gezeigt, wie Glaube gelebt werden kann, was Glaube bewirken und welche Kraft der Glaube schenken kann.

Rheinländer mit Leib und Seele

Und darum ein Rheinländer? Die zweite Kurzbeschreibung zeigt nicht mehr (aber auch nicht weniger), dass Fährmann immer wusste, woher er kam. Und dass er — trotz etlicher Auslandsreisen — auch dort blieb, wo er glaubte, hinzugehören. Fährmann wurde am 18. Dezember 1929 in Duisburg geboren und in eine Kindheit hinein, die nicht gerade sonnenbeschienen, aber voller Geschichten war. Der Vater, ein Arbeiter der König-Brauerei, der zum Teil mit Deputat-Bier entlohnt wurde, das wiederum einem Nachbarn zugutekam, der die Familie in der heimischen Küche so gut es ging frisierte und der - wie Fährmann sich erinnerte — von Flasche zu Flasche kreativer wurde.

Da kamen viele Geschichten zusammen, die der Junge hörte und bewahrte und denen dank der Erzählfreude der Großmutter noch einmal Leben eingehaucht wurde. Die Oma ist für Fährmann die "Mutter des Erzählens" gewesen, die sich nach Kriegsende, wie sich der Autor später erinnerte, dementsprechend eindrucksvoll auch über die erste Zeitung nach Kriegsende freuen konnte: "Drei Tage später kam der Zeitungsbote und lieferte die Rheinische Post. Und ob man es glaubt oder nicht, die Oma hielt sie ganz feierlich mit beiden Händen und drückte einen Kuss auf das Papier."

Hochwasser hätte die Autorenkarriere fast gestoppt

Auf Willi Fährmann hat dann aber nicht das Erzählen gewartet, sondern zunächst die Pflicht. Eine Maurerlehre absolvierte er, bis er über eine Begabtensonderprüfung doch noch an die Hochschule kam, 1953 Lehrer an einer Duisburger Volksschule und zehn Jahre darauf Schulleiter in Xanten wurde. Seine Geburtsstadt hätte ihm beinahe ein Strich durch seine junge Autorenkarriere gemacht. Das war Mitte der 50er Jahre, als das Rheinhochwasser die Kellerräume des Eidens-Verlag drang, in dem 1500 Exemplare seines Debütromans "Graue Kraniche — Kurs Süd" lagerten. Die Bücher fielen dem Strom zum Opfer. Doch Fährmann ahnte, dass seine erste Geschichte noch Qualität vermissen ließ. Dem Rhein ist Willi Fährmann jedenfalls für diese "Übertretung" und nachfolgende Buch-Vernichtung später dankbar gewesen.

In Xanten ist Fährmann als Schulleiter dann auch geblieben bis zu seinem Tod — in der Geburtsstadt des Nibelungenhelden Siegfried, dessen Geschichte Fährmann natürlich auch jugendgerecht nacherzählt hat. Wer Fährmann besuchte, stand irgendwann auch am großen Wohnzimmerfenster, vor dem sich nicht unbedingt die Welt, sondern nur der Niederrhein ereignete — also wenigstens die halbe Welt. Und im Boden seines Vorgartens verläuft eine alte Mauer der Römer. Niederrhein und die Welt, allenfalls ein Katzensprung.

Und die Liebenswürdigkeit eines Erzählers? Willi Fährmann war ein zurückhaltender Mensch, und wie alle, die nicht mit der Tür ins Haus fallen, auch sehr verbindlich. In seiner ernsten Freundlichkeit erkannte man sofort, dass die Freundlichkeit echt war. Willi Fährmann machte nie eine gute Miene zum bösen Spiel. Auch das machte ihn als Lehrer, als Autor und Vorleser seiner Geschichten so beliebt. Wie schön, dass etliche Schule nach ihm benannt wurden.

Rund zehn Millionen Bücher verkaufte er, nahezu alle großen Auszeichnungen bekam er: unter anderem den Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur und für seinen Bestseller "Der lange Weg des Lukas B." sowohl den Deutschen Jugendliteraturpreis als auch den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis.

Gutherzig ist Willi Fährmann immer als Mensch gewesen, was aber nicht heißt, dass er auch liebliche Geschichte erzählte. Im Gegenteil. Willi Fährmann gehörte zu den ersten, die problematische Themen rund um den Zweiten Weltkrieg, um Antisemitismus und Vertreibung literarisch anpackten, und er zählte zu den wenigen, die dieses Thema immer wieder neu erzählten und nie fallen ließen. Die Epoche rund um das Dritte Reich mit allen menschlichen Katastrophen sind der Dreh- und Angelpunkt seiner Literatur geblieben. Er ist in seinen Büchern nie bequem gewesen.

Das große Thema Zweiter Weltkrieg

Zu seinen rund 50 Büchern gehört die unglaubliche Bienmann-Saga, mit der die Geschichte einer ostpreußischen Familie von 1868 bis 1974 erzählt wird. Darin spielt auch der Untergang der Wilhelm Gustloff mit Flüchtlingen eine Rolle, eine Tragödie, die erste viele Jahre später auch Günter Grass aufgreifen wird. In "So weit die Wolken ziehen" hat er die sogenannte Kinderlandverschickung zum Thema gemacht, die eben nicht eine Art Urlaub abseits der Kriegsschauplätze war, sondern eine Zeit des Leidens, der Angst und des Sterbens: Für "So weit die Wolken ziehen" — ein Bibelvers aus Psalm 57, der zum Gottvertrauen auch in finsterer Stunde ermuntert — hat Fährmann viele Jahre akribisch recherchiert.

In "Die Stunde der Lerche" hat er schließlich die Geschichte einer Jugend in Duisburg lebendig werden lassen. Das war natürlich auch autobiografisch gefärbt, aber nur so viel, wie es für ihn vertretbar war. Was sonst noch lesenswert ist? Jede Menge: "Kristina vergiss nicht (1974), "Der überaus starke Willibald (1983), "Kriemhilds Rache" (1988), "Unter der Asche die Glut" (1999). Titel über Titel; viele andere gehören noch dazu.

Willi Fährmann ist stets ein realistischer Autor geblieben, konventionell im stilistischen und konservativ im gutmeinend wertenden Sinne. Zur Avantgarde gehörte er nie, wollte es auch nicht sein. Seine Leser liebten ihn nicht wegen der Sprachexperimente, sondern wegen seiner Geschichten und den Geschichten hinter den Geschichten.

So einen wie Willi Fährmann gibt es nicht mehr. Das sagt man am Tag der traurigen Nachricht von seinem Tod so schnell, wie man es eben in vielen Fällen sagt, nicht selten aber fälschlich. Doch bei Willi Fährmann, dem gutherzigen, wertestarken Erzähler vom Niederrhein hat man doch das Gefühl, wie sehr wir, die Leser, ihn und seine Geschichten künftig vermissen werden.

(ls)
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