Autobiographie des Musikers erscheint Neil Young erzählt sein Leben

Düsseldorf · "Ein Hippie-Traum" heißt die Autobiographie des legendären Rockmusikers. Der 66-Jährige erzählt darin von seiner großen Liebe zu Autos, seinen Auftritten mit "Crazy Horse", aber auch den lebensbedrohlichen Krankheiten, denen er ausgesetzt war.

 Knapp 500 Seiten umfasst die Autobiografie von Neil Young.

Knapp 500 Seiten umfasst die Autobiografie von Neil Young.

Foto: dapd, Victoria Will

Nach 50 Seiten denkt man sich: Ach nee, das werde ich wohl kaum bis zum Ende schaffen. Dann liest man doch noch etwas weiter, weil vielleicht das Wetter mies und einem ein bisschen langweilig ist. So gelangt man irgendwie bis Seite 150, gewöhnt sich allmählich an die simple Sprache, die naive Weltsicht; und schließlich freundet man sich mit dem Autor an und fühlt sich am Ende — nach knapp 500 Seiten — fast als Kumpel: als Kumpel von Neil Young.

Der legendäre, bald 67-jährige Rockmusiker hat also seine Autobiographie geschrieben, die jetzt weltweit erschienen ist und die in der deutschen Ausgabe leider keinen so glücklichen Titel abbekommen hat: "Ein Hippie-Traum" ist der dürftige Versuch, die Friedensbotschaft des Originals, "Waging heavy peace", als Lebensgefühl zu übertragen. Aber so sehr kommt es darauf gar nicht an, und überhaupt fragt man sich, worum es in diesem Buch eigentlich geht, das keine Chronologie und nur selten ein paar Jahreszahlen kennt.

Weil für Neil Young im Augenblick des Schreibens — das er "komfortabel" nennt, weil es keine Kosten verursache — alles zur Gegenwart wird. Alles wird kreuz und quer erzählt, mal diese, mal jene Episode. Als ob sich Young in eine literarische Jamsession begeben hätte und selbst neugierig darauf ist, wohin all das noch führen wird. Natürlich ist diese Unordnung ehrlich, denn die Erinnerung, so hat es Cees Nooteboom einmal formuliert, ist ein Hund, der sich hinlegt, wo er will.

Bedingungslose Liebe zur Familie

Und so kehren wir mit Neil Young in die Studios zurück, bis zu den Squires, seiner ersten Band, und Songs wie "Oh, Susanna" und "Clementine", die ja auf dem jüngsten Album "Americana" vor wenigen Wochen wiederbelebt wurden. Crosby, Stills, Nash and Young werden noch einmal innig, aber kurz beschworen.

Diese Formation, schreibt Young, sei nicht auseinandergegangen, sie habe einfach nur aufgehört. Ganz anders sein Verhältnis zu "Crazy Horse". Aufnahmen und Auftritte mit dieser eher ruppig veranlagten und nach dem Indianerhäuptling benannten Begleitband führten ihn immer wieder "in kosmische Bereiche": "An das Körpergefühl, mit den Horse zu spielen, kommt nichts anderes heran."

Der Kanadier Neil Young gilt durchaus als schwierig, doch wen er einmal in sein Herz geschlossen hat, den liebt er bedingungslos — seine Frau Pegi, seine Kinder (die er als die größten Erfolge seines Lebens bezeichnet), aber auch seine Gitarren und Autos. Er ist ein Freak, durch und durch, der reichlich Geld und einige Ingenieure daran setzt, einen dicken Wagen, LincVolt, auf Zellulose-Ethanol umzustellen. Ein Umweltprojekt, das später in Flammen aufgehen, aber anschließend unverdrossen weiterverfolgt wird.

Sein Umweltbewusstsein ehrt ihn, keine Frage. Sein alltägliches Verhalten aber kennt solche Gewissensbisse kaum. Youngs Lieblingsbeschäftigung: "in großen Autos lange Strecken zu fahren." Und diese Vehikel nennt er Liebschaften, die zärtlich mit Namen versehen werden. Ein 1949er Cadillac-Cabrio heißt "Hank" und der riesige 1973er EagleBus — mit Holzflügeln an den Seiten und gleich zwei Autodächern obendrauf — "Pocahontas". Wie das noch mit dem Hippie-Leben im Einklang steht? Kein Problem: "Gib einem Hippie zu viel Geld, und alles ist möglich." Zu den treuen Lebensgefährten werden aber auch seine Musikinstrumente — "Old Black" heißt seine legendäre Gibson-Gitarre.

Eine unbedarfte Autobiografie

Legendär scheint in der Zusammenschau dieses Lebens ohnehin fast alles zu sein. Die Aufnahmen zum großen Album "Harvest" in Nashville 1972 etwa. Weil Neil Young aber auch die Kritik daran aus der Crazy-Horse-Ecke kennt, nennt er sie lieber gleich selbst. Etwas schwülstig sei "Harvest" geraten, vor allem im Zusammenspiel mit dem London Symphony Orchestra in "A Man Needs A Maid". "Wir wussten, dass wir etwas übertrieben hatten", schreibt Young, "aber wir hatten es nun mal so gemacht und standen drauf."

In solch luftigen Höhen der Supererfolge — und es gab Zeiten, da hielt sich Young nach eigenen Worten gar für einen "Auserwählten" — werden Begegnungen auf Augenhöhen selten. Einer von denen ist zweifellos Bob Dylan. Wunderbar naiv erzählt Young seine Begegnungen mit Dylan, und aus jeder Zeile tröpfelt nur noch Stolz. Da ist Neil Young gerade zu Fuß in New York unterwegs und plötzlich ruft Dylan an. Der hatte ihn bei einem TV-Auftritt für die Opfer vom Hurrikan Katrina gesehen und musste ihm nun sagen, dass Neil Young "einen coolen Hut" getragen und "überhaupt gut ausgesehen" hätte. Die Freude ist die eines kleinen Jungen, die Antwort ist es auch: "Bob ist bei seinen Auftritten immer gut gekleidet."

Das ist vielleicht der größte Schatz dieser Autobiografie — ihre Unbedarftheit. Neil Young schreibt, was er so über die Welt denkt; und in diesen Momenten steigt er einfach vom Sockel des Rockstars herunter und erzählt uns allerlei Weisheiten, die allesamt keine sind. "Wir brauchen einen echten Grund, an das zu glauben, was wir tun. Ich hoffe, es gibt ihn. Es hat ihn immer gegeben, und wir alle leben noch." Vor allem in diesen unzensierten Aussagen kommt der Musiker einem nahe.

Aber auch sein Leben war nicht nur ein einziger, fröhlicher Bühnenauftritt: Er überlebte die Kinderlähmung, leidet seit dem Abmischen des Live-Albums "Weld" an Tinnitus, er musste wegen eines lebensgefährlichen Hirn-Aneurysmas operiert werden, und als einige Tage danach eine Arterie platzt, wäre er in einer Hotel-Lobby fast verblutet. Schattenseiten eines Lebens, in das seit kurzem wieder etwas Licht gefallen ist. Vor einem Jahr hat Neil Young das Rauchen von Gras und seinen exzessiven Alkoholkonsum eingestellt. Damit beginnt die Autobiographie, damit endet sie auch. Clean seit über sieben Monaten sei er — und habe seither fast keinen neuen Song mehr geschrieben.

(RP/das)
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