"Die große Volksverarsche" und Co. Prominente erklären die Welt

Sie sind die neuen Aufklärer: Leute aus dem Showgeschäft wie der Schauspieler Hannes Jaenicke, der sich politisch engagiert – und Bücher schreibt. Sein neues Werk "Die große Volksverarsche" führt seit Wochen die Bestsellerlisten an.

Prominente als Berichterstatter
3 Bilder

Prominente als Berichterstatter

3 Bilder

Sie sind die neuen Aufklärer: Leute aus dem Showgeschäft wie der Schauspieler Hannes Jaenicke, der sich politisch engagiert — und Bücher schreibt. Sein neues Werk "Die große Volksverarsche" führt seit Wochen die Bestsellerlisten an.

Vielleicht sind die Zeiten ja vorbei, da es angemessen schien, sich angesichts der Probleme in der Welt hilflos zu stellen, beleidigt mit den Schultern zu zucken und ein Was-kann-man-schon-tun? zu seufzen. Eine Finanzkrise ist seither über den Ohnmachtsbürger hinweggerollt, dann kamen giftige Bio-Eier, Pferde-Lasagne, getötete Frauen in Europas Ausbeuter-Nähstuben in Bangladesh — und irgendwann das Buch eines Schauspielers, dem es reicht: "Die große Volksverarsche", geballte Konsumenten-Wut, zusammengetragen von Hannes Jaenicke, seit drei Wochen Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste, verkaufte Auflage bisher: 50 000 Exemplare.

"Ich bin doch nicht blöd"-Trotz mit Niveau

Der Mann, der im deutschen Fernsehen den gehobenen Womanizer gibt, im Tatort sogar die kühle Maria Furtwängler gefühlig machte, scheint den Ton der Zeit getroffen zu haben. In neun Kapiteln prangert er in seinem Buch Missstände der Gegenwart an — vom Verpackungswahn über die unlauteren Methoden von Pharma-, Auto- und Kosmetikindustrie bis zur Verblödung durch die Massenmedien. Seine Rolle ist die des aufgeklärten Konsumenten, der hinterfragt, was man ihm zum Kauf anpreist. Als Populär-Enthüller deckt er auf, mit welchen Tricks der Verbraucher getäuscht werden soll. Das wirkt nicht moralinsauer. Jaenicke ist nicht der Günter Wallraff des Verbraucherschutzes, eher verkörpert er deutschen "Ich bin doch nicht blöd"-Trotz, Stammtisch mit Köpfchen.

Schließlich geht es dem Autor nicht nur um Weltverbesserung, sondern auch darum, kein Geld für die falschen Sachen auszugeben. Ein Kapitel beschäftigt sich etwa mit kritikwürdigen Beratungsmethoden von Banken. Der Leser muss aber keine ökonomischen Exkurse fürchten. Stattdessen einfache Formeln wie: "Je höher das Renditeversprechen, desto höher das Verlustrisiko." Und praktische Tipps: Nach Falschberatung zu klagen, lohne sich zum Beispiel, oder der Hinweis, die eigenen Geldanlagen regelmäßig auf ihren Ertrag zu überprüfen.

Jaenicke hat sich schon früher außerhalb des Showbetriebs zu Wort gemeldet. Er setzt sich für den Schutz der Orang-Utans auf Borneo ein oder für die bedrohten Eisbären in der Arktis und warnt vor den Folgen des Klimawandels. Auch darüber hat er schon geschrieben: "Wut allein reicht nicht" heißt sein Umweltaktivistenbuch.

Nicht neu, aber deutlich

Für das neue Werk hat er mit der Redakteurin Swantje Steinbrink zusammengearbeitet und beide waren fleißig. Sie haben zusammengetragen, welches Bio-Plastik doch beim Restmüll landet, welches Hautpflegemittel überflüssig, welche Nahrungsergänzungspille sogar schädlich ist. Die meisten ihrer Beispiele sind bekannt, das Buch ist keine investigative Leistung. Doch Jaenicke nennt Täter beim Namen, wettert gegen Supermarktketten, die Gurken in Plastik einschweißen, damit sie sich an der Kasse von den Bio-Gurken unterscheiden, empfiehlt niederländische Modemarken, die Jeans aus biologischer Baumwolle fertigen. Er nennt auch seine Quellen, empfiehlt, selbst mal im "Lobbying-Praxishandbuch" nachzuschlagen, führt am Ende seines Buches "Websites für Wahrheitssucher" an. Und wenn ihm Konzerne auf Anfragen nicht antworten, schreibt er das auch auf.

So inszeniert sich der Schauspieler als mutiger David, der es mit den Goliaths der deutschen Wirtschaft aufnimmt, der seine Steinchen schmeißt, noch eins und noch eins, als Vertreter all der anderen Konsumenten, die doch eigentlich auch niemandem schaden wollen. Sie wissen nur nicht mehr, was man guten Gewissens noch kaufen kann.

Geschrieben ist das einfach und unprätenziös. Jaenicke will etwas verändern, darum bemüht er sich um Verständlichkeit. Das wirkt sympathisch, glaubwürdig, uneitel. Da schreibt einer von uns über unsere Probleme. So macht sich im Kampf für die gerechte Sache ein Schauspieler zum Volksvertreter.

Genau wie der Komiker Kurt Krömer. Nur war der in geheimer Mission unterwegs — zum Truppenbesuch in Afghanistan. Auch er hat ein Buch geschrieben: "Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will" — wie bei Jaenickes "Volksverarsche" soll schon der Titel durch seine Umgangssprachlichkeit Volksnähe signalisieren.

Krömers Masche als Comedian ist es, sich dumm zu stellen. Mit aggressiver Ahnungslosigkeit hat er früher in der Krömer-Show Prominente interviewt und ihnen durch die gespielte Naivität manche Wahrheit entlockt. Das war witzig, weil Einfachheit subversiv sein kann, sie entlarvt die Wichtigtuer — simple Fragen vertragen keine komplizierten Antworten. Und Krömer ist radikal einfach, das ist seine ganze Kunst.

Nun hat die Bundeswehr diesen Untergrundkomiker und Kriegsdienst-Totalverweigerer zu Auftritten vor Soldaten in Masar-i-Scharif eingeladen. Krömer nahm die Einladung an, ließ sich mit der Vorbehaltlosigkeit eines Kindes auf den Soldatenalltag ein und erlebte den Einsatz so, wie ihn die meisten seiner Landsleute erleben würden: staunend, überfordert.

Krömer wird mulmig, wenn die Transportmaschine aus Sicherheitsgründen zur Sturzlandung ansetzt. Und wenn er zum Gespräch mit dem ehemaligen Präsidenten Afghanistans eingeladen wird, weiß er partout nicht, was er eigentlich fragen soll — und bekennt das freimütig. Vor der Audienz wird er in ein Wartezimmer mit altmodischen Sesseln gebeten und fragt sich dort, wer da wohl schon alles gesessen habe: "Frau Merkel? Herr Westerwelle? Frau Clinton? Herr Putin?" Der Komiker schreibt, wie seine Leser sprechen, wenn sie unter sich sind.

Wie Krömer haben sich freilich schon andere Promis in Krisenregionen gewagt. "Tatort"-Darsteller Jan Josef Liefers zum Beispiel reiste mit einem Reporter der "Bild"-Zeitung nach Syrien. Prompt warf man ihm Zynismus vor, was Liefers mit dem Hinweis parierte, seine Karriere habe Auftritte dieser Art nicht nötig. Nicht der Schauspieler Liefers wollte da gehört werden, sondern der politische Mensch mit humanitärem Anligen.

Auch Krömer setzt in seinem Buch alles daran, nicht als Experte zu erscheinen. Seine Pose ist die Posenlosigkeit. Und damit das auch ganz klar wird, gibt es zwischendurch Lektionen über das Mediengeschäft: "Ich könnte auch auf Pseudo-Journalist machen, die Technik beherrsche ich: viel sagen, aber keine Inhalte liefern", schreibt Krömer. "Das ist ja eine der goldenen Regeln beim Fernsehen: Nie ins Stocken kommen, das Gespräch immer am Laufen halten, so dass ja niemand merkt, dass man dem Thema eigentlich nicht gewachsen ist. Man könnte ja auch nur ein ganz normaler Mensch sein."

Das scheint das Ziel der Prominenten, die sich als neue Volksaufklärer auf Terrain jenseits des Showgeschäfts wagen: ganz normal wirken. Und dann viele Bücher verkaufen — von Mensch zu Mensch.

Buchtipps

"Die große Volksverarsche: Wie Industrie und Medien uns zum Narren halten", von Hannes Jaenicke, Gütersloher Verlagshaus, 192 Seiten, 17,99 Euro

"Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will: Zu Besuch in Afghanistan", von Kurt Krömer, Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 9,99 Euro

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort