Rezension Reigen einsamer Seelen

Düsseldorf · Eigentlich ist es wie immer: Es streiten sich zwei, die schon lange ein Paar sind - der falsche Käse von der Supermarkttheke, zu viel Süßes für die Kinder im Einkaufswagen. Und schnell wird es grundsätzlich. Sie schimpft: "Immer sagst du: ich hau ab." Er denkt: "Sie hatte schon immer das Talent zu verschwinden." Doch es geht um mehr als die gut beobachtete Eskalation eines Streits unter Eheleuten. Bald zeigt sich hinter der Alltagsbanalität die Glückssuche meist gut situierter, vermeintlich erfolgreicher Menschen.

Um das Glück beziehungsweise dessen Abwesenheit ging es bereits in Rezas erstem Roman. Eine Verzweiflung aus dem Jahr 1999, in dem ein alter Mann an der Schwelle des Todes mit seinem Sohn, einem "Aktivist des Glücks", hadert. Doch als zentrales Thema entpuppte sich bald die Einsamkeit. So ist es auch im neuen Roman der Erfolgsautorin. In "Glücklich die Glücklichen" wird das Thema Einsamkeit durchkonjugiert in einundzwanzig kurzen Kapiteln aus der Sicht von achtzehn Personen, die fast alle miteinander verwandt, bekannt oder befreundet sind. Da ist zum Beispiel Ernest Blot, Schwiegervater des überforderten Ehemannes aus dem Supermarkt. Der alte Ernest empfindet sich als "Körper im Kampf mit einer Welt, zu der er nicht mehr gehört", und lebt einsam im Nebeneinander mit seiner Frau. Seine Schwester, die Lehrerin Marguerite, versucht, der Einsamkeit durch eine kurze Affäre zu entfliehen. Sie denkt: "Man sucht sich irgendein Gesicht aus, man schafft sich Rettungsbojen in der Zeit." Und der Krebsspezialist Philip ist so einsam, dass er sich nach dem "Leid der Liebe" sehnt, aber nachts im Park immer den einen sucht, der ihn nicht nur schlägt, sondern auch tröstet.

Die Geschichten all der Glücklosen, die dieses Buch bevölkern, reihen sich aneinander wie die Episoden in Arthur Schnitzlers Reigen. Erst nach und nach ergibt sich ein größeres Bild. Und genau in diesem Erzählprinzip liegt das Problem. Die schiere Menge dieser Geschichten wirkt ermüdend; schnell hat man das Muster erkannt. Denn dass man Einsamkeit und Verzweiflung findet, wenn man an der glatten Oberfläche der Selbstdarstellung kratzt, ist keine ganz neue Erkenntnis.

Entschädigt wird man mehr als genug durch kluge Einblicke in das Leben dieser Suchenden, durch hintergründigen Humor, durch Sätze, die lange haften bleiben, und durch die schnörkellose Sprache, deren Lakonie die routinierten Übersetzer Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel beeindruckend wiedergeben. Keine ganz große Literatur also, aber ein sehr lesens- und nachdenkenswertes Buch.

Apropos Glück: Es kommt tatsächlich vor, wenn auch nur bei Randfiguren. Ein kleiner Junge empfindet es, wenn er auch noch nach dem Zähneputzen ein Glas Saft trinken darf. Und ein junger Mann, der sich aus der Realität ausgeklinkt und die Identität der kanadischen Sängerin Céline Dion angenommen hat, gibt beglückt Autogramme auf dem Parkplatz der psychiatrischen Klinik, in der er untergebracht ist. Das Glück also nur für die vom Leben noch weitgehend Unbeschädigten und für die Wirklichkeitsverweigerer? Auch dies viel Stoff zum Nachdenken.

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