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Rezension Schweigen als lähmende Kraft

Düsseldorf · Es ist Anfang Juli, ich bin noch nicht im Urlaub, aber ich beginne Yasmina Rezas "Glücklich die Glücklichen" als Sommerlektüre. Wie das Wetter in Deutschland diesen Sommer, hat auch der Roman seine Höhen und Tiefen, und kann bei gutem Wetter im Freibad sowie bei nicht enden wollendem Regen gemütlich auf der Couch gelesen werden.

 Katharina Federica Carlassare studiert an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Anglistik und Romanistik.

Katharina Federica Carlassare studiert an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Anglistik und Romanistik.

Foto: Katharina Federica Carlassare

Der Roman der Französin ist in 21 Kapitel unterteilt, die zu lesen sind wie Kurzgeschichten, von Personen unterschiedlichen Alters, die miteinander bekannt sind. Es geht um Einsamkeit und um die Probleme der Zweisamkeit. Es geht um die Erinnerungen alternder Menschen an die Vergangenheit, und um Menschen, die Melancholie und Traurigkeit mit sich tragen. Sehr schön bildhaft, zum Teil zum Anfassen gut beschrieben, sind die Beobachtungen von Menschen, die ihren vorbeiziehenden Beobachtungen und ihrer Gegenwart eine poetisch-sentimentale Aufmerksam schenken. Wenn Raoul Barnèche im Urlaub die Touristen "in ihrer locker sitzenden Kleidung" beim Flanieren beobachtet, kommt er dabei nicht in Urlaubsstimmung oder sieht sie als fröhliche Menschen an. Bei ihrem Anblick steigt Traurigkeit und Melancholie in ihm auf: "Ich betrachtete die bunte, triste Welt, die an uns vorbeizog."

Als Kontrast zu dieser schwerwiegenden Melancholie, gibt es auch ganz leichte Alltagssituationen, die keiner poetischen Interpretation bedürfen. "Beim Fahren nahm er mir die CD aus der Hand und legte sie selbst zurück in die Hülle."

Wir erwischen auf frischer Tat das Ehepaar Toscano bei einem Streit im Supermarkt. Es geht um den Käse. Augenscheinlich geht es um den Käse. In Wirklichkeit hat sich das Paar auseinandergelebt. Wenn nicht über die Einkäufe gestritten wird, wird geschwiegen. Auch ein anderes Kapitel handelt um ein Ehepaar und dessen Familienprobleme: Ihr 19 Jahre alter Sohn ahmt leidenschaftlich gerne und in Frauenkleidern Céline Dion nach, und landet deswegen in der Psychiatrie. Von seinen Freunden wird das Ehepaar wegen seiner Spießigkeit belächelt.

In einem weiteren der 21 Kapitel geht es um eine Frau, die eine Affäre zu einem verheirateten Mann hat, der wiederum auch sie betrügt. Unterhaltsam sind diese verknüpften und verzwickten Liebesbeziehungen. Während die Protagonistin ihren Geliebten im Café mit einer anderen Frau beobachtet, wird ihre Umgebung so aufmerksam im Detail beschrieben, dass man das Gefühl hat, selbst im Café anwesend zu sein.

Aber auch luftig leichte und poetische Beschreibungen sind zu finden: "Seit meiner Kindheit stelle ich mir die Zeit bildlich vor. "Ich sehe das Jahr als gleichschenkliges Trapez. Der Winter ist oben, […]. Herbst und Frühling hängen wie ein Rock daran. Und der Sommer war schon immer eine lange, flache Grundlinie."

Es geht um Konstellationen und Zusammenhänge. Der rote Faden, der die Charaktere miteinander verbindet, sollte auch dem aufmerksamen Leser auffallen. Begriffe wie Schweigen kommen nicht nur einmal im Buch vor. Das Ehepaar Toscano schweigt sich beim Autofahren an und auch beim Arzt Philip Chemla ruft Schweigen schmerzliche Erinnerungen hervor. "Ich kann mich zwischen meinem Bruder und mir nur an Schweigen erinnern." Yasmina Reza gibt dem Schweigen eine lähmende Kraft, die die Charaktere in ihrer Gegenwart und Vergangenheit festhält.

"Glücklich die Glücklichen" ist unterhaltsam und gleichzeitig regt der Roman an, seinen eigenen Alltag und seine Mitmenschen etwas aufmerksamer zu beachten. Jede Bilderbuchfamilie hat ihre Geheimnisse und Schattenseiten, Zweisamkeit entpuppt sich als Nebeneinander- und Auseinanderleben. Näher blicken lohnt sich! So auch bei "Glücklich die Glücklichen".

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