Rezension „Und es war genau die richtige Dosis Schmerz“

Düsseldorf · Eigentlich könnte an dieser Stelle Schluss sein mit der Rezension; der Titel dieser, ein Zitat aus Yasmina Rezas Roman "Glücklich die Glücklichen", fasst den Tenor des Romans sehr treffend zusammen: Hoffnung gibt es keine, außereheliche Liebschaften sind an der Tagesordnung und einen Ausweg aus misslichen Lebenslagen und -lügen wird es schon gar nicht geben. Kurzum: Es nimmt kein fröhliches Ende.

Nach dem Lesen des ersten Kapitels, in Verbindung mit dem Titel "Glücklich die Glücklichen", mögen die LeserInnen sich denken: Aha, eine Lobeshymne auf die Liebe! Zwar beginnt der Roman mit einem banalen Streit der Eheleute Odile und Robert im Supermarkt, doch erwartet wohl niemand eine solch konsequente Tristesse. Dass Odile eine Affäre hat, wird der Leserschaft mehr oder minder beiläufig in einem späteren Kapitel verraten. Erwartet wird, dass Odile und Robert nach einer heftigen Ehekrise wieder zueinander finden und fortan glückliche Glückliche sind. Die folgende Allegorie lässt dies vermuten: Nachdem ihr Sohn mitten in der Nacht aufwacht, weil er sein Kuscheltier "nicht mehr gespürt hat", schlägt Robert vor, dieses demnächst anzubinden, damit es nicht mehr verloren gehen könne. Als er und seine Frau wieder im Bett liegen, nachdem sie sich zuvor gestritten hatten, bemerkt er: "Dich müsste man auch anbinden."

Im Fokus stehen aber nicht nur Odile und Robert, sondern 16 weitere Figuren, die auf nicht einmal 200 Seiten vermeintlich belanglose Geschichten ihres Lebens erzählen. Stück für Stück wird jedoch enthüllt, dass die Geschichten miteinander verbunden und alles andere als belanglos und oberflächlich sind: Wie geht man beispielsweise mit seinem 19-jährigen Sohn um, der sich für Céline Dion hält, ihre Lieder singt und sogar erzählt, sein ihr Vater lebe nicht mehr? Ist eine Frau hörig, wenn sie nach 30 Jahren ihre einstige Affäre wiedertrifft, der sie erneut verfällt, obwohl sie glücklich verheiratet ist? Ist es naturgegeben, dass ein Mann "auf große Schwänze" steht, oder ist dies auf die sexuelle Beziehung zurückzuführen, die er zu seinem Bruder hatte, seit er zehn Jahre alt war?

Die Diversität der Figuren ist bemerkenswert: Jede braucht ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Sprachstil, um sie unmissverständlich unterscheiden zu können. Als erfolgreiche Theaterautorin und Dramatikerin ist Yasmina Reza dafür bestens gewappnet.

In "Glücklich die Glücklichen" verwendet sie in wörtlicher Rede keine Anführungszeichen, was den Lesefluss erheblich beeinträchtigt und oft sinnentfremdend ist. So markieren lediglich Gedankenstriche einen Sprecherwechsel, weshalb wohl ein mehrmaliges Lesen mancher Abschnitte erforderlich ist.

Inwieweit Yasmina Reza glücklich ist, lässt sich aus dem Roman nicht ableiten; wohl aber, dass sie nicht die Absicht hat, die Leserschaft positiv zu stimmen. Jedes Kapitel ist mit dieser gewissen Dosis Schmerz angereichert, deren Ausmaße nicht einmal weit hergeholt sind. Auch ein Aufeinandertreffen der meisten Personen am Ende des Romans geschieht aufgrund eines Trauerfalls: Betrügende treffen bei einer Beerdigung auf Betrogene, Hintergangene auf Leidensgenossen. Wer beklemmende, nahezu melancholische Geschichten aus dem Leben mag, dem sei "Glücklich die Glücklichen" wärmstens empfohlen. Ganz großes K… Theater!

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