Roger Willemsen "Ich arbeite jede Woche für Afghanistan"

Düsseldorf · Dem Publizisten Roger Willemsen ist die Ehrengabe der Düsseldorfer Heine-Gesellschaft zuerkannt worden. Mit Heine fühlt er sich verbunden.

Roger Willemsen: "Ich arbeite jede Woche für Afghanistan"
Foto: imago

düsseldorf Der Buchautor, Publizist und Journalist Roger Willemsen (59) wird der 15. Preisträger, wenn ihm in Düsseldorf Ende Juni die Ehrengabe der Heine-Gesellschaft überreicht wird. Die Jury entschied sich für Willemsen, weil er als "Autor und engagierter Kämpfer für die Menschenrechte" ganz im Sinne Heines präsent sei.

Was haben Roger Willemsen, Max Brod und Alice Schwarzer gemeinsam'?

Willemsen Eine Sekunde bitte (überlegt) ... sie sind alle drei Vermittler; sie sind Nachlassverwalter - ach was, das ist es nicht.

Ich erlöse Sie; alle drei sind Preisträger der Heine-Ehrengabe.

Willemsen Alice Schwarzer wusste ich; aber Max Brod auch? Erstaunlich! Und blamabel für mich.

Er war der erste Preisträger.

Willemsen Das ist ja das, was einem am Preis erfreut: dass man sich in Traditionen befindet, die man selber ehrt. Also muss man entweder etwas von der Jury halten, die diesen Preis vergibt, oder von der Genealogie des Preises.

Fühlen Sie sich dem publizistischen Anliegen Heines nahe?

Willemsen Es gibt eine ganze Reihe von Wegen, die heute zu Heine führen. Der eine ist ein aufklärerischer Gedanke; das heißt, die Fähigkeit, sich gegen Mehrheiten zu stellen; die Fähigkeit, einem anderen Ideal als dem eigenen Nutzen eine Sprache zu geben. All das ist mit Heine verbunden. Und diese Fähigkeiten möchte ich in ganz verdünnter Haltung für mich in Anspruch nehmen - verbunden mit den öffentlichen Auftritten, auch dem Guantanamo- und dem Bundestags-Buch. Das Zweite ist seine Ironie. Sie fungiert bei ihm als kritisches Medium. Das ist die Haltung, mit der Heine sich vom Sentimentalen distanziert.

Ironie kann aber doch auch der Schutzschild eines Menschen sein, der verletzt worden ist.

Willemsen Absolut. Und bei Heine ist das auch eine Sprache des Leidens. In der Behauptung von Individualität steckt auch kreative Energie. Ich muss aber auch gestehen - wahrscheinlich zum Leidwesen der Heine-Gesellschaft -, dass mich Karl Kraus mit seinem ätzenden Essay "Heine und die Folgen" sehr beeindruckt hat. Wobei es Kraus mehr um die Folgen als um Heine zu gehen scheint.

Dabei ist dieser Text über Heine auch ein Text über Karl Kraus.

Willemsen. Das stimmt. Aber der Text bleibt ein Meisterstück der Polemik.

Würden Sie Heine gerne interviewen?

Willemsen Sehr.

Hätten Sie auch Angst davor?

Willemsen Ich glaube nicht, dass Heine jemand wäre, der sich Fragen verbitten würde. Er würde vielmehr eine Haltung zur Frage haben. Und ich würde mich sehr bemühen, ihm berechtigte Fragen zu stellen.

Was wäre eine berechtigte Frage?

Willemsen Man würde ihn befragen müssen nach seinem unerschütterlichen Glauben an die Aufklärung. Diese Grundannahme, dass sich aus dem Geist heraus eine Einflussnahme auf das Denken eines Kollektivs ableiten ließe, müsste man heute einer neuerlichen Prüfung unterziehen. Außerdem würde ich ihn gerne nach einer Typologie des Ressentiments befragen. Weil gerade unsere Zeit bestimmt wird von einer blinden Abwehr, die nicht mehr urteils- und begriffsgeleitet ist. Das ist bei allen sozialen Meiden der Fall. Es gibt immer mehr Menschen, die nicht belehrt werden und im Zustand der Ignoranz verharren wollen, um die orientierende Kraft des Vorurteils nicht zu verlieren. Für manche bringt das Vorurteil eine Lebenserleichterung, und je diffuser es ist, desto einfacher wird es dann. Der zweite Begriff, über den ich gerne mit Heine sprechen würde, wäre der der Relevanz angesichts unserer Datenfülle und der Anhäufung von Belanglosigkeiten.

Würden Sie sich selbst als Aufklärer bezeichnen?

Willemsen Ich kann dazu nur Ja sagen. Ich müsste sogar sagen, auch wenn es komisch klingt: Ich bin ein Moralist. Ich glaube zu wissen, was sein soll und was nicht sein soll. Es gibt bestimmte Dinge, mit denen ich mich nur konfrontieren kann, indem ich mich nicht einverstanden erkläre. Und das ist eine moralische Haltung. Die Moral hat einen schlechten Ruf, ich weiß. Aber wenn man sagt, ich bin ein Moralist, ist man in gewisser Weise auch Aufklärer, der den Konjunktiv träumt: Oh wäre doch. Und das erzeugt Reibung.

Muss man sich als Moralist rechtfertigen?

Willemsen Ja, weil ich die pauschale Inanspruchnahme nur mit einer gewissen Distanz formulieren kann. Mit der Aussage "Ich bin ein Aufklärer" schultert man nicht nur ein Erbe, dass mich erdrücken würde. Ich bin es eben in so vielen Dingen nicht, in denen ich mich auch zu amüsieren versuche.

Sind Sie Moralist oder ein engagierter Mensch auch durch die Literatur geworden? Weil der, der liest, der Welt nicht gleichgültig gegenüberstehen kann.

Willemsen Mein erster Berufswunsch war der, vom Schreiben leben zu können. Und das war immer auch mit einer Idee von Veränderung verbunden. Ich war früh politisch engagiert. Aber meine Begegnung mit Afghanistan hat mir auch gezeigt, dass es sehr sinnvoll sein kann, einfach nur Schulen zu bauen, ohne gleich ganze Systeme ändern zu wollen. Das kann man fast nur sentimental vermitteln. Aber es bedeutet mir wirklich viel. Meine Konfrontation mit Leidensgeschichten an verschiedenen Enden der Welt kann ich nur beantworten, wenn ich praktisch helfe. Und ich arbeite jede Woche für Afghanistan.

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(RP)
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