Die 100 schönsten Romane Platz 10: "Mit brennender Geduld"

Düsseldorf · Der große Roman von Antonio Skármeta erzählt von Liebe, Poesie und Politik. Er steht auf Platz 10 der 100 schönsten Romane, zusammengestellt von RP-Kulturredakteur Lothar Schröder.

Bloß 140 Seiten zählt dieses Werk, doch was für ein großer Roman ist es! Voller Poesie steckt das Büchlein, voller Leidenschaft, es erzählt von Entbehrungen, Enttäuschungen und dem Tod. Doch der Reihe nach - und wenn wir so ordentlich beginnen wollen, muss jetzt unbedingt von Mario die Rede sein. Dem 17-jährigen Chilenen, der eigentlich Fischer werden soll, aber dann doch Postbote wird. Genauer: Briefträger für Isla Negra und dort für nur einen einzigen Kunden - den Dichter Pablo Neruda.

Im Grunde sind die beiden ein unschlagbares Team: Der Junge versorgt den Alten zuverlässig mit Botschaften aus aller Welt; dafür versorgt der Alte den Jungen mit schönen Worten. Und die sind bitternötig, denn Mario ringt um die Liebe der bildhübschen Beatriz Gonzáles. Dass er sie schließlich betört, ist ein Zeichen für die Kraft der Poesie. Und dass Mario manchen Vers als seinen eigenen ausgibt, ist zwar nicht so in Ordnung - findet auch Neruda; doch spricht die Liebe den jungen Verletzer des Urheberrechts frei. Nur der Schwiegermutter gefällt das liebliche Gerede des Entflammten nicht sonderlich: "Es gibt kein schlimmeres Gift als das Blabla", wettert sie. Und: "Serviererinnen vom Lande fühlen sich danach wie venezianische Prinzessinnen."

So weit die schöne Geschichte, die nicht so romantisch bleiben kann, schließlich erzählt sie ja vom Leben. Salvador Allende gewinnt 1970 die Wahl in Chile und macht Neruda zum Botschafter in Paris. Ein falscher Ort zur falschen Zeit ist es für ihn. Seine Dichtkunst versiegt, und todeskrank kehrt er zurück in die Heimat, in der sich inzwischen das politische Blatt gewendet und sich Diktator Pinochet an die Macht geputscht hat. Das hört sich fast schon nach mehr als nur 140 Seiten an. Und doch gäbe es noch einiges über Mario, seine Ehe, sein Exil und den Erzähler zu berichten. Es soll aber damit genug sein, zumal es vom Autor ja noch etwas zu erzählen gibt und Antonio Skármeta selbst eine Figur des Buches sein könnte. Auch er war ein Anhänger Allendes und musste das Land nach dem Putsch verlassen. Bis 1989 lebte er im Berliner Exil und schrieb dort "Mit brennender Geduld", das in 25 Sprachen übersetzt und gleich zweimal verfilmt wurde.

Seine Rückkehr in die alte Heimat blieb nicht folgenlos. So wurde ihm dort die erneute Reise nach Berlin angetragen: allerdings als Botschafter. Doch da Skármeta durch sein eigenes Buch um die Verhängnisse eines solchen Amtes wusste, fragte er den Staastchef, ob er denn auch als Botschafter weiter dichten dürfe. Die präsidiale Antwort soll gelautet haben: "Herr Skármeta, ich will sogar, dass Sie schreiben!

Diskutieren Sie unter dem Hashtag #schroeders100 bei Twitter mit dem Autor Lothar Schröder (@daszweitgesicht) und anderen Literaturfans: Welcher Roman gehört unbedingt in die Top100? Welcher wird Ihrer Meinung nach überschätzt?

(RP)
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