Sibylle Berg "Menschen machen mich oft traurig"

Düsseldorf · Zwei Stücke der Autorin Sibylle Berg sind jetzt beim Asphalt-Festival in Düsseldorf zu sehen. Wir haben mit ihr gesprochen.

Die Autorin Sibylle Berg.

Die Autorin Sibylle Berg.

Foto: dpa

Sibylle Berg, 1968 in Weimar geboren, ist eine der meistgespielten Dramatikerinnen der Gegenwart und Kolumnen-Autorin bei Spiegel online. Beim Asphalt-Kulturfest in Düsseldorf (8. bis 17. Juli) sind zwei Stücke von ihr zu sehen in Inszenierungen des Berliner Gorki-Theaters. Karten und Infos zum Festival unter: www.asphalt-festival.de

Sie schaffen Frauenfiguren, in denen man sich wiederentdeckt, die einem zugleich aber furchtbar leidtun - muss Aufklärung wehtun?

Berg Oh nein, ich bin unglaublich gegen Schmerzen aller Art. Ich glaube, alles was wehtut, wird abgelehnt oder verdrängt. Ich versuche sehr, Aufklärung nicht zu behaupten, sondern real entstehen zu lassen. Am besten mit Humor. Dann lassen sich die für einige unangenehmen Realitäten besser schlucken.

Sind Sie froh, als Frau geboren worden zu sein?

Berg Na, da fragen Sie was. Ich habe dieses seltsame Frausein erst empfunden, als mir die Ungleichbehandlung meines Geschlechts - also nicht meines Geschlechtsteiles - klar wurde. Das stellte sich bei mir erst in einem Alter ein, als ich nicht mehr mit meiner Menschwerdung beschäftigt war. Plötzlich entwickelte ich einen Tunnelblick für Ungerechtigkeiten, für Zuschreibungen, für Verachtung, für die Trennung und Ungleichbehandlung von Menschen. Dann wurde mir klar, dass ich mich zwar als Mensch fühlen kann, aber als Frau behandelt und damit in vielen Bereichen limitiert werde. Lange Rede, kurze Antwort: Ich bin nicht froh darüber, als Frau geboren zu sein, aber froh, in einer westlichen Zivilisation leben zu dürfen, die wenigstens gewährleistet, dass ich gesetzlich verankerte Grundrechte habe.

Warum sind Frauen so anfällig dafür, sich selbst unter Druck zu setzen?

Berg Ich kann nicht für "die Frauen" sprechen. Mir obliegen Vermutungen. In vielen Bereichen müssen Frauen mehr leisten als Männer, dürfen keine Fehler machen. Frauen werden gesellschaftlich härter beurteilt. Öffentlich werden ihre Qualitäten als Mütter, als Sexobjekt, als Berufstätige (eventuell mit Kind? Das arme Kind) bewertet. Wenn eine Frau so viel Mist bauen kann wie ein Mann und damit durchkommt, haben wir Gleichberechtigung.

Haben wir vielleicht im 21. Jahrhundert generell zu hohe Erwartungen an das Leben?

Berg Das kann ich auch wieder nicht pauschal beantworten. Ich bin sehr zufrieden, und hoffe, dass es vielen so geht. Wir leben in einer unruhigen Zeit, aber immer noch weit entfernt von Hunger, Verfolgung, Krieg und Angst.

Sind Sie es manchmal auch ziemlich leid, Frauen-Fragen gestellt zu bekommen?

Berg (lacht) Außer ihnen traut sich das selten jemand.

Sie schreiben mit einer Dünnhäutigkeit, die dem Leser die Augen öffnet für die Zumutungen der Gegenwart. Halten Sie eine gerechtere Welt für möglich?

Berg Nein. Ich glaube, Gerechtigkeit ist keine Kernkompetenz des Menschen.

Wie lebt es sich mit diesem latenten Pessimismus und mit der Dünnhäutigkeit?

Berg Nennen wir es Durchlässigkeit. Die ich zum einen brauche, um Strömungen wahrzunehmen, um Mitgefühl zu empfinden. Menschen machen mich oft traurig. Was Kritik, Hass und Ablehnung meiner Arbeit gegenüber angeht, bin ich sehr unempfindlich. Und vielleicht auch ein Arsch, denn ich gehe davon aus, dass ich meistens Recht habe. Also wie alle.

Warum schreiben Sie eigentlich für das Theater? Mit einer einzigen Kolumne bei Spiegel online erreichen Sie doch eindeutig ein viel größeres Publikum.

Berg Kolumnen sind einzig als politischer Ausdruck interessant. Ich würde nicht sagen, dass ich Künstlerin bin, weil das bescheuert klingt, aber mir Welten und Szenarien auszudenken, ist eigentlich mein Beruf.

Was stiftet Sinn in Ihrem Leben?

Berg Arbeiten. Serien schauen. Wissenschafts-Bücher lesen, am Verstehen der Welt zu scheitern. Mich wenig zu bewegen und geliebt zu werden, ohne dass ich mich verstellen muss.

(dok)
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