FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher Tod eines furchtlosen Intellektuellen

Frankfurt / Main · Der Buchautor, Journalist und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher ist im Alter von nur 54 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Er gehörte zu den wirkmächtigsten Meinungsmachern unserer Republik.

Frank Schirrmacher ist tot
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Foto: dpa

Mit ihm konnte seine Karriere so früh und so steil beginnen. Und ohne ihn, den väterlichen Mentor, währte sie nur kurz: Lediglich ein gutes Jahr nach dem Tod des legendären Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki ist am Donnerstag FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher an einem Herzinfarkt gestorben - im Alter von erst 54 Jahren.

So erschreckend wahr diese Nachricht auch ist, so falsch muss sie wirken bei einem Journalisten und Publizisten, der es bei allen drängenden Anforderungen des Tages immer verstanden hat, sich vom Getöse der Gegenwart ein wenig abzukoppeln und sich vom Getue der anderen nicht beeindrucken zu lassen.

Weil Schirrmacher der Erotik der Modethemen nicht erlag, wurde er vor allem mit seinen essayistischen Büchern einer der wirkmächtigsten Meinungsmacher unserer Republik. Mit dem "Methusalem-Komplott" entfachte er 2004 eine Diskussion über die Vergreisung unserer Gesellschaft; zwei Jahre später folgte mit "Minimum" ein kluger Blick auf die Auflösung der Familie als sozialer, solidarischer und darum überlebenswichtiger Keimzelle unserer Gesellschaft.

Bis Schirrmacher sich dem Informationszeitalter zuwandte und - auch als Betroffener - besorgt das wachsende Informationsgewitter anschaute; "Payback" hieß das passende Buch dazu, das komischerweise erneut breit diskutiert wurde, obgleich eine seiner Thesen lautete, dass die digitalen Medien einen weit größeren Einfluss haben als der alte Buchdruck. Und mit "Ego" blickte Schirrmacher schließlich auf die Finanzwelt mit der inspirierenden These, dass die Ökonomie unserer Zeit sich bei der Spieltheorie der Militärs aus dem Kalten Krieg bediente. Eine der fundamentalen Spielregeln war ein radikaler Egoismus - aus Gründen der Selbsterhaltung.

Das alles hatte sich Schirrmacher erlesen und erarbeitet. Von Hause aus war er ja Geisteswissenschaftler, von seiner journalistischen Berufung her aber ein vor Neugier beinahe platzender Mensch. Dass er selbst kein Experte auf all diesen Gebieten war und sein konnte, sich aber der Experten bediente, wurde zum Glücksfall für die Leser: Endlich war da einer, der komplexe Themen nicht scheute und der über sie dann auch verständlich schreiben konnte.

Frank Schirrmacher konnte bei manchen Themen nur eine Art Zaungast bleiben, doch bewies er, dass auch von dieser Warte aus wichtige Beobachtungen möglich sind. Hohe Auflagen sind jedem seiner Buch sicher gewesen; und neben zahlreichen anderen bedeutenden Kulturpreisen wurde er mehrfach zum Journalisten des Jahres gewählt.

Die Bücher waren eine Verlängerung seiner Arbeit in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und sein Aufstieg dort war schwindelerregend gradlinig. Nur ein Jahr nach seiner Hospitanz bei dem angesehenen Blatt 1984 wurde Schirrmacher Feuilleton-Redakteur - mit 26 Jahren; er folgte 1989 Marcel Reich-Ranicki auf dem Posten des Literaturchefs und 1994 Joachim Fest im Amt des Herausgebers. Schneller und höher geht es für einen Publizisten kaum.

So etwas kann aber auch übermütig machen. Als etwa der Ägypter Nagib Mahfus 1988 mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde, glaubte Schirrmacher seinen Lesern mitteilen zu müssen, dass bis dahin kaum ein Buch vom Geehrten bekannt sei und die wenigsten überhaupt etwas von der Existenz des Schriftstellers wüssten. Das aber war bloß der Spiegel seiner eigenen Lesesozialistion. Und so wurde Schirrmacher alsbald eines Besseren belehrt. Der Gerügte war aber auch selbstkritisch genug, in späteren Artikeln über Mahfus journalistische Abbitte zu leisten. Zudem kam seine Doktorarbeit ins Gerede, nachdem bekannt wurde, dass er größere Teile daraus zuvor schon an anderer Stelle publiziert hatte.

Vieles kann man sich für den Beruf eines Journalisten erarbeiten - das verständliche Schreiben, das umfassende Lesen, das gründliche Recherchieren. Doch es bedarf auch Talent dazu, einen richtigen Riecher für die großen und wichtigen Themen der Zeit zu haben. Und den hatte Schirrmacher in hohem Maße. Dass Günter Grass als junger Mann Mitglied der Waffen-SS war, entnahm Schirrmacher der Autobiographie "Beim Häuten der Zwiebel" schneller als alle anderen. Er lud Grass 2006 zum Interview; der kam, stellte sich den Fragen - und eine wochenlange Debatte folgte.

Von diesen Menschen nahmen wir 2013 Abschied
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Frank Schirrmacher schien immer genau da zu sein, wo es intellektuell knisterte und historisch brannte. Als Martin Walser 1998 seine umstrittene Paulskirchenrede über die "Moralkeule" der Shoa-Erinnerung hielt, lieferte Schirrmacher dazu noch die Laudatio. Vier Jahre später erschien Walsers "Tod eines Kritikers"; und in dieser Romanfigur erkannte Schirrmacher einen literarischen Mordanschlag auf seinen Ziehvater Reich-Ranicki. Ein "Dokument des Hasses" und eine "Exekution" nannte Schirrmacher dieses Buch weit vor der Veröffentlichung. Diese Geschichte war für ihn nichts anders als ein Vatermord.

So vieles scheint falsch und verkehrt zu sein an der gestrigen Nachricht - vom frühen Tod des unerschrockenen Intellektuellen, verantwortungsbewussten Meinungsmachers, scharfsinnigen Zeitdiagnostikers - und eines auch uneitlen Menschen, der das Feuilleton zu einer gesellschaftlich relevanten Größe machte, der die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung miterfand und bis zu seinem Tod der Zeitung verbunden war. Als wolle er ein bisschen Abstand halten und Zaungast bleiben vom Frankfurter Medienrummel, lebte Frank Schirrmacher mit seiner Frau, der Kulturjournalistin Rebecca Casati, in Potsdam.

Die falsche Nachricht vom gestrigen Tag ist wahr. Auch darum bleibt unsere Verantwortung, Schirrmachers Lebenswerk als Leser zu wahren und als Journalist zum Ansporn zu nehmen.

(RP)
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