Nachruf Zum Tod des Magiers Gabriel García Márquez

Mexiko-Stadt · Der kolumbianische Literaturnobelpreisträger ist jetzt im Alter von 87 Jahren in Mexiko-Stadt gestorben. Weltberühmt wurde er mit seinem über 30 Millionen Mal verkauften Epos "Hundert Jahre Einsamkeit".

Gabriel García Márquez ist tot
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Gabriel Garcia Márquez stirbt mit 87 Jahren

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Manchmal ist ein Dorf groß genug für die Weltliteratur. Dann werden schon ein paar Hütten zum Mythos, wobei es gleichgültig ist, wo sie stehen. Gabriel García Márquez hatte sie im Hinterland der kolumbianischen Karibikküste errichtet. Macondo hieß das Fleckchen Erde. Und wer es betreten wollte, wurde mit diesem ungeheuerlichen Satz empfangen: "Viele Jahre später sollte der Oberst Aureliano Buendia sich vor dem Erschießungskommando an jenen fernen Nachmittag erinnern, an dem sein Vater ihn mitnahm, um das Eis kennenzulernen."

So beginnt das für jede Phantasie unerschöpfliche Familienepos "Hundert Jahre Einsamkeit", das García Márquez 1982 den Literaturnobelpreis eintrug und das die Menschen weltweit zu lieben lernten: In über 35 Sprachen wurde es übersetzt und weit über 30 Millionen Mal verkauft. Jetzt ist sein Schöpfer gestorben, 87-jährig, in seinem Haus in Mexiko-Stadt. 1999 war er an Krebs erkrankt; ein paar Jahr später erreichte die Nachricht von einer Demenz-Erkrankung die Öffentlichkeit.

Gabriel García Márquez zog sich zurück, er gab keine Interviews mehr und meldete selbst das Telefon ab. Es schien, als hätten sich Geist und Leben schrittweise aus ihm zurückgezogen. Anfang April dann seine Einlieferung ins Krankenhaus, wegen einer Atemwegsinfektion, wie es hieß. Eine Lungenentzündung ist es jetzt wohl gewesen, der "Gabo", wie ihn seine Freunde nannten, nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

Gabriel García Márquez ist lange ein Kämpfer gewesen. Das Fabulieren soll er von der Großmutter gelernt haben, die in "Hundert Jahre Einsamkeit" als Urmatrone der Buendia-Sippe bis heute ein Eigenleben in den Köpfen der Leser führt. Für ihn wird die Sprachmacht der Großmutter zu einer Schule des Lebens, die ihn das Jura-Studium abbrechen und erst einmal Reporter werden lässt.

Er reist Mitte der 50er Jahre als Korrespondent nach Europa, und als seine Zeitung geschlossen wird, lebt er mittellos in Paris. Vielleicht sind das die beiden Quellen seiner hohen Kunst: das Erzählen-können und das Berichten-wollen. Beides wird früh zusammenfließen in seinem "Bericht eines Schiffbrüchigen" von 1955, für den sich der Reporter García Márquez von einem Matrosen ein Schiffsunglück berichten lässt und aus dem der angehende Autor García Márquez dann eine Ich-Erzählung formt. Wirklichkeit und verwandelte Wirklichkeit werden schließlich das, was später mit "Magischem Realismus" beschrieben wird.

"Nichts was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern und wie wir es erinnern, um davon zu erzählen." Dieser Satz aus dem ersten Band seiner Autobiografie ist ein Bekenntnis, eine Leidenschaft, ist Weltsicht und Schreibprogramm. Alle Bücher stellen sich unter diese Worte: der lakonische Kurzroman "Der Oberst hat niemand, der ihn schreibt" von 1961, die Geschichtsutopie "Die Liebe in Zeiten der Cholera" von 1986, die novellistische Parabel "Chronik eines angekündigten Todes" (1981), in der ein Mann ermordet wird, obwohl alle von solchen Plänen wissen und das Opfer eigentlich unterrichten wollen. Wie ein archaischer Plan aber läuft dieser Tag ab, dem sich sogar der Mann, der sterben wird, am Ende zu unterwerfen scheint. Márquez hat so viel bedeutsame Romane und Erzählungen, dass alle, die jetzt Titel vermissen werden, im guten Recht jeden Lesers sind.

Sein erzählerischer Universum ist auch durch Funken angefacht worden, die das eigene Leben schlugen. Und dazu zählt auch seine politisch schwierige Haltung — insbesondere seine ungetrübte Freundschaft zu Fidel Castro. Sein früherer Weggefährte Mario Vargas Llosa hat ihn deshalb einen "Höfling Castros" genannt, und Susan Sonntag empfand seine "Blindheit" gegenüber dem Kommunismus einfach nur empörend. Der Angegriffene hat beizeiten seine Naivität eingestanden.

Aber das wird auch nicht sein Vermächtnis sein, weil Gabriel García Márquez eine ganz andere Welt geschaffen und sie uns über seinen Tod hinaus übereignet hat. Eine Welt, in der die Menschen sich nach Glück sehnen, in der es an Liebe fehlt, in der Grenzen überschritten, große Utopien entworfen werden und am Ende der Zerfall regiert. Man hat "Hundert Jahre Einsamkeit" auch darum gern mit den "Buddenbrooks" von Thomas Mann verglichen. Literarisch hat sich Márquez zu einem Vorbild oft bekannt: Das war die "Blechtrommel" von Günter Grass.

Seine Autobiografie von 2002 beginnt damit, dass er seine Mutter begleitet, das Haus der Familie zu verkaufen. In Aracataca liegt es. Aber natürlich ist es auch Macondo gewesen, diese kleine große Dorf der Weltliteratur. Die Worte der Mutter verraten es: "Gehen wir einfach davon aus, dass wir alle hier geboren sind und auch alle hier sterben werden", sagt sie ihrem Sohn. Auch darum ist ihr Sohn, ist Gabriel García Márquez, jetzt nur auf dem aktenkundigen Sterbezettel in Mexiko-Stadt gestorben. Sein Geist ist in Macondo erloschen. Denn die Orte großer Literatur sind immer dort, wo auch ihre Schöpfer sind — die schreibenden wie die lesenden.

(los)
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