Zum Tode Henning Mankells Ystad ist überall

Düsseldorf · Weltbestseller-Autor Henning Mankell ist im Alter von 67 Jahren in Göteborg gestorben.

 Henning Mankell verkaufte mehr als 40 Millionen Bücher.

Henning Mankell verkaufte mehr als 40 Millionen Bücher.

Foto: ap

Dieses Ystad gibt es wirklich. Liegt irgendwo in der südschwedischen Provinz Skåne län. Und wer das wegen der literarischen Prominenz der Stadt partout nicht glauben will, kann organisierte Reisen dorthin unternehmen — zum Wohn- und mörderischen Wirkungsort eines der berühmtesten Kommissare unserer Zeit, Kurt Wallander. Nach insgesamt elf Romanen und viel zu vielen Dienstjahren war der Ermittler 2009 mit "Der Feind im Schatten" in den Ruhestand geschickt worden.

Sechs Jahre später ist sein Schöpfer gestorben. Im Alter von 67 Jahren starb Henning Mankell an einer Krebserkrankung. Von ihr hatte er erstmals vor zwei Jahren berichtet, ihr hatte er auch sein letztes Buch gewidmet. "Treibsand" erschien vor wenigen Tagen mit dem resümierenden Untertitel: "Was es heißt, ein Mensch zu sein".

Wer von Mankell erzählt, kommt ohne Wallander nicht aus. Und irgendwie fühlte man, dass zwischen beiden Männern eine tiefe Wesensverwandtschaft herrschte. Aber nicht im schnöden Abgleich ihrer beiden Leben. Sondern in der pessimistischen und letztlich ratlosen Sicht auf eine Welt voller Gewalt und Ungerechtigkeit. Henning Mankell hat darüber geschrieben, um vielleicht an der eigenen Hilflosigkeit nicht verrückt zu werden. Stattdessen schickte er Kurt Wallander ins aussichtslose Rennen für eine gute Welt. Der ist dann an seiner Stelle gescheitert — mit großem Gleichmut in einem Akt langjähriger wie hartnäckiger Selbstzerstörung.

Kommissar Kurt Wallander hat nicht bloß Tränensäcke wie Derrick. Er ist übergewichtig und depressiv, er leidet an Diabetes, ist unfähig zu Beziehungen und fähig zu gelegentlichen Alkoholexzessen. Doch Wallander ist nicht einer unter so vielen anderen kaputten Polizisten, die vor einigen Jahren literarisch inflationär zu werden schienen. Wallanders einzige Stärke war seine Schwäche, und dass er immer wieder unterging, war zugleich seine finstere Botschaft an uns Leser. Am Ende ist Wallander nicht gestorben. Er löste sich einfach selbst auf, indem ihm mit der Alzheimer-Diagnose das genommen wurde, was ihm zur Verzweiflung nötig war: nämlich die Erinnerung.

Wer von Wallander spricht, hat nicht nur Mankell vor Augen, diesen weiß-schopfigen Mann (als habe er nie eine eigene Jugend gehabt) mit dem wuchtigen Kopf und den immer etwas zu weit aufgeknöpften Hemden. Das Bild eines weiteren Mannes stellt sich ein: das von Rolf Lassgård, einem der drei Wallander-Darsteller. Er tritt auf wie ein durch vereisten Schnee stapfendes Urvieh von spürbarer Körperlichkeit und beklemmendem Schwermut. Dank Lassgård habe er Wallander erst richtig verstanden, hat Mankell einmal gesagt.

Der riesige Erfolg der Wallander-Romane ist auch den Verfilmungen geschuldet. Mankells Bücher erzielten eine Gesamtauflage von über 40 Millionen Exemplaren. Und obgleich diese in gut 40 Sprachen übersetzt wurden, fand fast jedes zweite Mankell-Buch in Deutschland seinen Käufer.

Dieser Kurt Wallander ist nie souverän, er hadert und grübelt, ist ungerecht. Er ist immer das Gegenteil von Sherlock Holmes gewesen. Das liegt an unserer Zeit. Der hübsche Glaube, mit dem Verstand das Ungerechte dieser Welt zu enträtseln, spiegelte die romantische Vorstellung des 19. Jahrhunderts. Das 21. Jahrhundert ist dagegen reichlich desillusioniert: Sprachlos stehen wir vor den Schattenseiten der Menschheit und ihrer Taten. Und Henning Mankell hat sie mit viel Bestialität weiter verdüstert. Menschen werden skalpiert, verbrannt, gepfählt, mit Frauen wird auf eine Weise gehandelt, wie wir es heute mit keinem Tier mehr machen würden.

Die Welt ist weder gerecht noch heil. Seit 1991 hat sich Mankell mit Wallanders Hilfe daran abgearbeitet, seit "Mörder ohne Gesicht" und mit "Hunde von Riga", mit "Mittsommermord" und "Die Brandmauer".

Dass oft auch die koloniale Vergangenheit und koloniale Verbrechen eine Rolle spielen und ins nicht mehr so beschauliche Ystad schwappen, hat zu tun mit dem Engagement Mankells auf dem Schwarzen Kontinent. Seine erste Afrika-Reise 1972 wandelte sein weiteres Leben grundlegend. Der Kontinent lieferte ihm Erzählstoff und machte ihn damit zum Autor. Afrika schenkte ihm auch eine zweite Heimat. Mit einem Bein stünde er im schwedischen Schnee und mit einem anderen Bein im afrikanischen Sand, sagte er.

Henning Mankell stirbt mit 67 Jahren
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Erinnerungen an Henning Mankell

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So lebte und arbeitete er auch in Mosambik, machte Maputo zu seiner zweiten Heimstätte. Mankell, der in den 80er Jahren in Schweden als Theaterregisseur und Intendant gearbeitet hatte, gründete die erste Sprechtheatergruppe in Maputo und übernahm dort später die Leitung des Teatro Avenida.

In Afrika schien Mankell genau das vor Augen zu haben, was ihn seit seiner Jugend in Alpträumen regelmäßig und auf diffuse Art quälte: Viele handelten von Katastrophen oder gleich vom Untergang der Welt. Diese Träume hat er nie ablegen können. In Afrika sind sie ihm greifbar geworden — und in den Wallander-Romanen zu Weltbestsellern geraten.

Es gibt auch reichlich Non-Wallander-Romane und Theaterstücke. Sie wurden als Beifang eines erfolgreichen Geschichten-Fischers in Kauf hingenommen und gelegentlich auch gelesen. Dass ihnen aber nicht der gleiche Erfolg wie den Wallander-Epen beschieden war, wird nicht als Ungerechtigkeit in die Literaturgeschichte eingehen; die meisten Werke blieben schwach und merkwürdig harmlos, weil sie vor allem eine moralische Botschaft transportieren und keine Geschichte erzählen wollten, der jede Moral ziemlich egal ist — und wie bei jeder guten Literatur auch zu sein hat.

Mankells aufbrausend politisches Agieren hat ihm nicht allein die literarische Sprache verschlagen. Sie hat auch sein Urteilsvermögen mitunter getrübt. Seit der 68er-Bewegung war er unterwegs — gegen den Krieg der USA in Vietnam und Portugals in den Kolonien; auch prangerte er immer wieder die Politik der Apartheid an, die er von Südafrika in einem absurden Vergleich auf den Gaza-Streifen übertrug. Seine Unterstützung galt den Palästinensern und sein Hass den Israelis. Wie ein Berserker seiner eigenen Vorstellung von Gerechtigkeit war er an Bord einer pro-palästinensischen Flottile, die einer vermeintliche Blockade Israels durchbrechen und Hilfsgüter nach Gaza bringen sollte. Mankell hat Israel mit irrsinniger Leidenschaft nicht nur verdammt; er hat die Gründung des Staates Israel 1948 eine völkerrechtlich nicht legitime Handlung genannt.

Romane sind nicht gerecht; nie moralisch. Sie müssen die Existenz ohne Zensur ergründen. Das alles ist der Fiktion vorbehalten. In gleicher Weise aber außerhalb dieses geschützten Terrains zu agieren und zu agitieren, ist mehr als fahrlässig. Es ist ein Handeln ohne Verantwortung, ohne Verstand und ohne jede Rechtfertigung. Es ist unverzeihlich.

Zuletzt dann der Tumor, dem er sich stellte und den er — bis zuletzt — auch mit seinen Worten zu bannen versuchte. Henning Mankell war besessen vom Leben, aber auch unbarmherzig genug, dem Ende ohne Hoffnung entgegenzutreten: "Ich respektiere Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben. Aber ich verstehe sie nicht. Mir kommt die Religion wie eine Entschuldigung dafür vor, dass man die Grundbedingungen des Lebens nicht akzeptiert. Hier und jetzt, mehr ist es nicht."

Das hat Henning Mankell zuletzt geschrieben. Oder war es Wallander? Lassgård? Ystad ist überall.

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