Düsseldorf Butterfahrt ins Musik-Paradies

Düsseldorf · Seit fast einer Woche gibt es den digitalen Streaming-Dienst Apple Music. Bietet er überhaupt einen Mehrwert? Ein Selbstversuch.

Streamingdienste sind die Nagelstudios der digitalen Welt, es gibt genug davon, und eigentlich braucht man keine neuen. Deshalb meldete ich mich etwas belustigt bei Apple Music an, als das Unternehmen aus Cupertino in der vergangenen Woche sein Angebot zum Abspielen von Musik über das Internet startete: Mal gucken, wie die das so machen. Die ersten drei Monate bekomme ich geschenkt, danach fallen 9,99 Euro pro Monat an. Der Preis ist derselbe wie beim Premium-Abo des Konkurrenten Spotify, dem schwedischen Marktführer mit 75 Millionen Kunden, der indes auch eine Gratis-Version anbietet: Da werde ich zwischen den Liedern jedoch mit Werbung beschallt.

Apple Music also. Ich lade keine zusätzliche App auf iPhone und Computer, sondern aktualisiere die vorhandene Musik-App, und die sieht danach anders aus. Neu ist zum Beispiel "B1", die Radiostation, die nach Eigenauskunft bis zum Ende der Welt 24 Stunden am Tag senden möchte. Apple warb eigens den prominenten DJ der BBC, Zane Lowe, ab, und als ich reinschalte, bin ich in einer Sendung mit dem Titel "Gratitude with Nas": Der Rapper Nas, der 1994 mit "Illmatic" eines der maßgeblichen Alben des HipHop vorgelegt hat, spricht über "Paid In Full", den Klassiker der Kollegen Eric B. & Rakim aus dem Jahr 1987. Als 16-Jähriger sei er der Platte begegnet, erinnert er sich, und dann spielt er jedes Lied und erzählt, warum es seine Welt verändert hat. Nas liefert eine historisch-kritische Ausgabe von "Paid In Full". Der Superstar als Fan, es ist klasse, und ich mag gar nicht abschalten.

Dieser Eindruck zieht sich durch den gesamten Test: An Apple Music haben Menschen gearbeitet, Musik-Nerds, das ist kein rein dem Algorithmus verpflichtetes Angebot. Ich habe Zugriff auf 30 Millionen Songs, nahezu das komplette iTunes-Angebot, zudem auf Musikvideos und Hörspielreihen wie "John Sinclair" und "TKKG". Das Ganze ist liebevoller aufbereitet als die Benutzeroberfläche bei Spotify, wo ich zwar gut bedient werde, wenn ich einen bestimmten Titel suche, mich aber etwas alleingelassen fühle, wenn ich mich inspirieren lassen möchte. Bei Apple Music soll man verweilen, ein Freizeitpark für Musikfreunde. Es gibt eine Sparte mit dem Namen "Für dich". Da werde ich zunächst gefragt, welche Musikgenres ich mag. Dann soll ich Lieblingsinterpreten angeben. Und nach diesen Informationen stellt Apple Playlisten zusammen. Wer etwa "Elektronische Musik" mag und den Produzenten Aphex Twin, bekommt kundige Song-Zusammenstellungen vorgeschlagen, darin Titel von Polygon Window und AFX, alles Pseudonyme von Aphex Twin. Wer "Indie" mag und die Gruppe Field Mice, wird mit einer Liste aus Razorcuts, Orange Juice und Wedding Present versorgt.

Die andere wichtige Rubrik heißt "Neu", dort kann ich Künstler und Titel suchen. Ich werde mit Infos und Angeboten förmlich überschüttet. Stichprobe mit Miles Davis: Ich finde alle Alben und Sonder-Editionen, auch die herrliche Bootleg-Reihe. Es gibt einen langen Lexikon-Eintrag über Miles, der profund und mit einem Autorennamen gezeichnet ist. Und ich bekomme kluge Playlisten: Das beste von Miles' zweitem Quartett, das beste aus der "coolen Phase" und aus der Zusammenarbeit mit Herbie Hancock. Nächste Stichprobe: David Bowie. Alle Alben und Editionen, eine Playlist, die vom Musikmagazin "NME" kuratiert wurde, dazu eine mit Stücken anderer Künstler, die Bowie zitieren. Und ein launiger Text: "Nach 1983 versank Bowie in der Mittelmäßigkeit, bis er seine Karriere in den 90ern schließlich ganz aufgab." Apple inszeniert sich als musikvernarrter Kumpel.

Schwach und nicht ausgereift wirkt die Rubrik "Connect", wo man mit Künstlern verbunden wird. Vermutlich will Apple hier eine Art soziales Netzwerk aufbauen. Gelistet werden jene Künstler, die ich eingangs als Favoriten genannt hatte, und zu sehen sind im Grunde deren aktuelle Facebook- und Twitter-Meldungen. Toll indes: von Künstlern kuratierte Playlists. Die New Yorkerin St. Vincent etwa stellt Songs zusammen, die sie beeinflusst haben; Stücke von New Order und Devo sind darunter.

Zwischenfrage: Wie steht es mit der Moral? Das Gewissen fühlt sich tatsächlich nur halbgut. Nach dem Protest von Taylor Swift will das Unternehmen Künstlern zwar auch in der kostenlosen Probephase Geld für jeden gestreamten Song zahlen. Aber wie viel genau, bleibt unklar. Auch wurde angekündigt, nach diesen drei Monaten höhere Honorare abzuführen als die Konkurrenz. Aber auch hier werden keine Beträge genannt. Und: Ganz bestimmt greift Apple reichlich Informationen über das Nutzerverhalten ab. Viele der personalisierten Playlists können nur entstanden sein, weil das Unternehmen die digitale Musikbibliothek der Kunden durchforstet - ansonsten wäre eine Trefferquote von 95 Prozent nicht zu erreichen. Es wurde nicht ein Song vorgeschlagen, der mir nicht gefiel.

Apropos Transparenz: Neu ist das Herz-Symbol - bei Apple nun das, was der Daumen bei Facebook ist. Ich drücke damit aus, dass mir ein Stück gefällt, und sende Informationen an Apple. Ein paar Minuten danach gehe ich wieder auf "Für dich" und sehe, dass dort nun andere, noch genauere Playlisten stehen: etwa Ambient-Kompositionen von Aphex Twin. Speziell, aber gut.

Ich habe ständig den Eindruck, ein neuer Bekannter schaue in meinen Computer, und ich weiß nicht so recht, ob ich ihm trauen kann. Aber ich lasse es zu, weil der Bekannte sich auskennt und gute Empfehlungen gibt und ich ihm gerne zuhöre. Dieser Bekannte ist ebenso Businessman wie Buddy. Er führt einen Plattenladen, der heißt iTunes, und am liebsten hätte er es, ich ginge möglichst bald dorthin, um zu kaufen, was der Bekannte empfiehlt. "B1" kann man nämlich nur über WLAN hören, und wer Lieblingslieder auch offline abspielen will, soll sie bei iTunes kaufen. Und: Ich frage mich, was aus den gesammelten Daten wird. Werden damit die Hits der Zukunft designt? Dienen die Vorlieben der Vielen als Maßstab für die Verfertigung von Songs? Ist Apple Music genau genommen ein gigantisches Institut zur Marktanalyse? Sicher ist bloß dieses: Begeisterung und Berechnung liegen nahe beinander.

Fazit: Apple Music liefert durchaus Mehrwert. Das ist ein gehaltvolles Programm. Der Nutzer profitiert. Man muss nun abwarten, ob die besonderen Features gepflegt, aktualisiert und ausgebaut werden. Nach fast einer Woche bleibt zu sagen: Wer neue Musik sucht, erlebt dort eine Butterfahrt ins Paradies. Es macht Spaß, und ob man kauft oder nicht, ist hier jedem selbst überlassen. Ich habe mir "Paid In Full" von Eric B. & Rakim nach der neuerlichen Begegnung durch den Radiosender "B1" jedenfalls sofort noch einmal angehört.

Offline, ohne Apple und auf LP.

(RP)
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