Der bunte Widerstand einer Familie

Skurrile Konsumkritik: der wunderbare Film "Captain Fantastic".

Weihnachten wird bei den Cashs nicht gefeiert. Die Geburt Jesu ist den bekennenden Atheisten vollkommen egal, aber der Jahrestag des linken Intellektuellen Noam Chomsky wird begangen. "Happy Chomsky Day" sagt der Vater Ben (Viggo Mortensen) zu seinen Kindern und verteilt die Geschenke: Angel, Pfeil und Bogen und für die jüngste Tochter ein Jagdmesser, über das sich die Siebenjährige freut, wie andere Kinder über ein iPhone 6.

Ben und seine Frau Leslie (Trin Miller) haben vor vielen Jahren der amerikanischen Konsumgesellschaft den Rücken zugekehrt und sich in die Wälder des Pazifischen Nordwesten zurückgezogen, um ihre Kinder in der freien Natur nach ihren eigenen Werten zu erziehen. Die sechs Mädchen und Jungen sind nicht nur athletische Survival-Spezialisten, die es gewohnt sind, das Wild für ihr Mittagessen selbst zu jagen. Sie sind auch philosophisch und literarisch hoch gebildet. Die Jüngste kann den Inhalt der "Bill Of Rights" wiedergeben und die Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung einem kritischen Diskurs unterziehen. Auf die Frage, was eine Vergewaltigung sei, bekommt sie von ihrem Vater eine genaue und schonungslose Erklärung. Genauso klar, wahrhaftig und ohne Umschweife berichtet Ben seinen Kindern, dass sich die depressive Mutter im Krankenhaus das Leben genommen hat.

Es ist eine herzzerreißende Szene und gleichzeitig eine Begebenheit voller Würde, weil der Vater seine Töchter und Söhne als vollwertige Menschen ernst nimmt. Der Tod der Mutter ist der Ausgangspunkt in Matt Ross' intelligentem Familienporträt "Captain Fantastic". Denn obwohl der Schwiegervater Ben verbietet, zur Beerdigung zu kommen, macht er sich mit seinen Kindern auf nach New Mexico, um der Mutter die letzte Ehre zu erweisen. Auf dem Weg in den Süden werden die Kinder mit jener kapitalistischen Gesellschaft konfrontiert, über die sie viel theoretisches Wissen angehäuft haben, ohne wirklich eine Vorstellung davon zu haben. Und die Welt jenseits der Wälder hält viele Überraschungen für sie bereit.

"Captain Fantastic" spiegelt die Konsumgesellschaft, indem der Film im Familienkreis eine radikale Gegenutopie entwirft. Aber Ross idealisiert den isolierten Antikapitalismus der Cashs nicht, sondern unterzieht das skurrile Lebensmodell einer dialektischen Prüfung.

(RP)
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