Köln Christian Kracht im Kulturkampf

Köln · Heute erscheint mit "Die Toten" der neue Roman des legendären Popliteraten.

Christian Kracht hat sich verwandelt oder gewandelt; oder wieder einfach eins seiner ironischen Spielchen gespielt, indem er ein bisschen so aussieht wie Emil Nägeli, der Held seines neuen Romans. Also mehr oder weniger vollbärtig, mit hellblonden, langen Strähnen, die die fortschreitende Glatze kaschieren sollen. So ist jetzt Kracht zu sehen, und wer ihn besuchen möchte, muss nach Los Angeles reisen, wo er nun lebt.

Vielleicht ist Kracht einer der originellsten Schriftsteller deutscher Sprache; auf jeden Fall ist er mit nicht einmal 50 Lebensjahren einer der rätselhaftesten, manche sagen auch: legendärsten Autoren. Kracht, der einst flaue Popliterat, Freund exzessiver Lebensführung und Skandälchen, der Mysteriöse, der in Form und Sprache letzten Dingen auf die Schliche kommen will und mit diesem Sonderweg manchen suspekt werden ließ: zum Türsteher rechten Gedankenguts glaubte man ihn nach seinem Roman "Imperium" 2012 machen zu können.

Heute erscheint "Die Toten", Christian Krachts fünfter und poetischster Roman. Seine Sprache scheint aus dem erzählerisch opulenten 19. Jahrhundert zu uns zu strömen. Das Erstaunliche ist, dass man sich von ihr ganz gut tragen und führen, möglicherweise gar verführen lässt. Der schöne Ton macht skeptisch. Zu poliert erscheinen die Sätze, zu perfekt komponiert der gesamte Roman.

Das klingt zwar etwas geschmäcklerisch. Doch kann es unruhig machen, wenn viele schöne Worte aufgeboten werden, um mit ihnen 1933 einen Kulturkampf der Moderne auszutragen. Im Mittelpunkt stehen zwei Figuren: besagter Filmregisseur Nägeli, der plant, einen Gruselfilm in Japan zu drehen; sowie der japanische Kulturbeamte Masahiko Amakasu, der ein Komplott gegen Hollywood plant. In weiteren größeren wie kleineren Rollen: Charlie Chaplin und Heinz Rühmann, Medienmogul Alfred Hugenberg und Siegfried Kracauer.

Es wird ordentlich aufgeboten, die Zeit zu beglaubigen und die historischen Figuren darin zu verstricken: in einen Kampf um die Macht der bewegten Bilder, kurz bevor andere Mächte sich die Welt vorknöpfen.

Auf nur 212 Seiten hagelt es Anspielungen auf damalige Kunst und Künstler; ein Wimmelbild schicksalhafter Geschichte. Und es wird Blut fließen, am Anfang wie auch am Ende.

Zum Schluss noch eine Tote, die vom H des Hollywood-Schildes ins Verhängnis stürzt, bis der Körper "schlußendlich über Kakteen drapiert zur Ruhe" kommt. Doch das permanente Raunen dieses Buches zieht weiter und mündet im biblisch anmutenden Schlusssatz: "Es wird heißen in diesen Schriften, sie sei wie ein Feuer gewesen, das im Kiesel schläft."

Ein unheimliches Buch.

(los)
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