Der Doc fürchtet die Knochensäge

Daniel Radcliffe begeistert in "A Young Doctor's Notebook" als Mediziner.

Krank werden kann man überall. Aber auf dem Land, in den einfachen Verhältnissen des vorindustriellen Lebens, hat man obendrein noch eine gute Chance auf hässliche Arbeitsunfälle. Da ist man froh, wenn man einen Arzt in der Nähe weiß. Außer, wenn man als russischer Bauer oder Leibeigener fern von Moskau um 1917 in der Nähe des Dörfchens Murjewo lebt. Dann kann man nur hoffen und beten, nie ärztliche Hilfe zu brauchen.

Denn im sogenannten Hospital von Murjewo führt mittlerweile ein Bübchen aus Moskau die Truppe aus einer Schwester, einer Hebamme und einem Feldscher an. Wladimir Bomgard, von allen immer nur "der junge Doktor" genannt, hat aus Moskaus Hörsälen praxisfernes Bücherwissen mitgebracht. Mit dem Diagnostizieren hat er Schwierigkeiten, heilen kann er kaum, aber auch für radikale Lösungen - die Knochensäge drängt sich da auf - fehlt ihm anfangs der Nerv.

Seine Patienten leiden, die abgebrühten Hospital-Veteranen rollen mit den Augen, am meisten aber leidet der Neuling selbst. Seine Kur für Heimweh und Versagensängste? Er spritzt sich Morphium. Seine Leistung verbessert das nicht, aber es senkt die Menge an Schmerzdämpfern, die den Patienten zur Verfügung steht.

Wie es zugeht im Murjewo der Jahre 1917 und 1918, erzählen die beiden Staffeln der britischen Miniserie "A Young Doctor's Notebook" - jede umfasst vier Folgen á 22 Minuten - mit jenem schwarzen Humor und jener grotesken Drastik, die den Engländern so liegt.

Den Doktor spielt Daniel Radcliffe mit einer Mischung aus Idealismus, Verzweiflung, Verwahrlosung und Wahnsinn, die auch hartnäckige "Harry Potter"-Verächter verzücken dürfte. Man merkt, Radcliffe will hier einem verehrten Vorlagenautor gerecht werden. Denn "A Young Doctor's Notebook" beruht auf einer Kurzgeschichtensammlung von Michail Bulgakow, die sich aus dessen eigenen Erlebnissen als Jungmediziner speist.

Im Gegensatz zu Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita", einem der großen Werke des 20. Jahrhunderts, sind die "Aufzeichnungen eines jungen Arztes" weniger bekannt. Die Macher der Miniserie brachte das auf die fruchtbare Idee, nicht nur die Landarzterlebnisse ins Bild zu setzen, sondern Stil und Person des späteren, bekannteren Bulgakow mit einzubeziehen.

Und so haben wir es in "A Young Doctor's Notebook" auch mit dem in Moskau lebenden Arzt der 30er Jahre zu tun, dem die Polizei seiner Drogensucht wegen auf den Fersen ist. Dieser von Jon Hamm gespielte Morphinist erinnert sich an seine frühen Arztjahre, wobei die Rückbesinnung handfeste Formen annimmt. Das ältere Ich besucht nämlich das jüngere in dem desolaten Hospital von Murjewo, kommentiert dessen Treiben, nimmt längst Verdrängtes zur Kenntnis und versucht, vergeblich natürlich, einst begangene Fehler zu verhindern.

So sehen wir denn nicht nur einen schaurig komischen Landarzt-Alltag in der ersten Staffel und den gesteigerten Wahnsinn des Bürgerkriegs in der zweiten, wenn abwechselnd Bolschewiken und Weißgardisten das Hospital besetzen.

(RP)
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