Analyse Darf das Land Kunst verkaufen?

Düsseldorf · Erneut haben Direktoren großer Kunstmuseen in NRW gegen die geplante Versteigerung zweier Werke von Andy Warhol aus dem Besitz des Aachener Casino-Betreibers Westspiel protestiert. Seit je ist für die Politik die Verlockung groß, durch Kunstverkauf Finanzlücken zu schließen.

Der Protest gegen die geplante Versteigerung von zwei hochrangigen Werken Andy Warhols aus dem Besitz des Casino-Betreibers Westspiel hält sich hartnäckig. Erneut haben gestern 27 Direktoren großer Kunstmuseen in Nordrhein-Westfalen einen Brief an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) verfasst. Diesmal fordern sie, dass auch Kunstwerke, die dem Land indirekt gehören, vor einem Verkauf geschützt werden sollen.

Für Politiker aller Couleur ist der Verkauf von Kunstwerken seit je eine verlockende Vorstellung. Nur ein oder zwei Bilder aus einer öffentlichen Sammlung verkaufen - die teuersten müssten es allerdings sein -, und schon ist man drückender Finanzierungssorgen womöglich gleich bei mehreren Wunschprojekten ledig. Doch haftet schon allein dem Gedanken an solche Verkäufe der Ruch des Kulturfrevels an. Und manchmal stellt sich im Nachhinein heraus, dass ein Verkauf gar nicht nötig gewesen wäre.

Vor 18 Jahren machte der nordrhein-westfälische CDU-Landtagsabgeordnete Leonhard Kuckart von sich reden, als er vorschlug, das wertvollste Gemälde der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW zu veräußern, um mit dem Erlös den seit langem geplanten Erweiterungsbau des Museums zu finanzieren. Der damals auf einen Wert von 50 Millionen D-Mark geschätzte Picasso befindet sich zum Glück nach wie vor im Besitz der Kunstsammlung, und der Anbau wurde auf andere Weise finanziert.

Ähnliches trug sich zehn Jahre später in Krefeld zu. Die Stadt wollte Monets weltberühmtes Gemälde "Houses of Parliament" für 18 bis 20 Millionen Euro versteigern lassen, um das baufällig gewordene Kaiser-Wilhelm-Museum zu sanieren. Auch zu diesem Verkauf kam es nicht - unter anderem, weil der Kulturausschuss des NRW-Landtags sein "Befremden" angesichts der Krefelder Pläne geäußert hatte.

Heute vertritt der Landtag die entgegengesetzte Position. Ministerpräsidentin Kraft antwortete den protestierenden Direktoren, dass die Warhols nicht wie gefordert Museen übergeben werden könnten, weil sie kein "nationales Kulturgut gemäß Kulturgutgesetz" darstellten. Zudem betonten Vertreter der landeseigenen NRW-Bank, deren Tochter Westspiel ist, und das Finanzministerium im Kulturausschuss des Landtags, dass der Verkauf der Warhols zugunsten der Sanierung von Westspiel nicht gestoppt werden solle. Gilt der Verkauf von Kunst aus öffentlichen Sammlungen heutzutage nicht mehr als Tabubruch?

Zumindest wird man differenzieren müssen. Ein Verkauf von Kunstwerken aus Museen ist zwar rechtlich möglich, gilt aber nach wie vor als sittenwidrig und verstößt im Übrigen gegen den internationalen Museums-Ehrenkodex. Der Grund liegt auf der Hand: Sobald sich Museen von einigen ihrer Schätze trennen, sinkt die Bereitschaft möglicher Mäzene, diesen Häusern Werke zu stiften. Außerdem verstößt der Verkauf gegen die schöne Vorstellung, dass Museen Horte der Kunst auf Ewigkeit seien.

Anders verhält es sich im Falle der Aachener Warhols. Sie wurden nicht für ein Museum angeschafft, sondern als Dekor für ein Spielcasino. Und selbst wenn der Staat der Betreiber des Casinos ist, müsste es ihm offenstehen, die Bilder zu verkaufen, wenn sie für ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr benötigt werden. Allerdings kann man bei einem staatlichen Casino vom Land eine gewisse Fürsorge erwarten; vor allem dann, wenn es darum geht, die Bilder vor Beschädigung zu schützen. Immerhin sollen im Aachener Casino Handwerker einen Türknauf durch ein Gemälde von Warhol gebohrt haben, weil sie es für eine Wandtapete hielten.

Angesichts der hohen ideellen und materiellen Kunst-Werte, über die das Land NRW verfügt, offenbar ohne eine rechte Übersicht zu haben, sollte die Ministerpräsidentin die Dinge selbst in die Hand nehmen, eine Liste der Standorte verfassen lassen und sicherstellen, dass die Objekte angemessen aufbewahrt werden. Alles andere würde bedeuten, dass das Land nicht nur Kunstfrevel in Kauf nimmt, sondern auch die Vergeudung wirtschaftlicher Werte. Und da werden üblicherweise auch Politiker feinfühlig.

(RP)
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