Das Böse wütet wieder in "Fargo"

Die TV-Serie "Fargo" spielt im selben Universum wie der gleichnamige Kultfilm der Coen-Brüder. In dem perfekt gelungenen Experiment brilliert neben Martin Freeman vor allem Billy Bob Thornton als Teufel auf Erden.

Die schwarze Komödie "Fargo" von 1996 über aus dem Ruder laufende Verbrechen und Leben in der verschneiten US-Provinz ist voller Uneindeutigkeiten, Rätsel, Fallstricke. Benannt nach einem Ort, der darin keine Rolle spielt. Beginnend mit dem Hinweis, dass er eine wahre Geschichte erzähle, was gelogen ist.

Wahr ist, dass im Dezember 2001 eine junge japanische Frau nahe der real existierenden Stadt Fargo im Norden der USA erfror, eine Art Schatzkarte in der Hand. Bald ging die Story um die Welt, dass sie auf der Suche nach einem im Film verbuddelten Geldkoffer gewesen war. Eine Geschichte zu verrückt, zu tragikomisch, zu gut, um wahr zu sein - bald erzählt in einem weiteren Kinofilm namens "Kumiko, the Treasure Hunter".

Die Pointe von alledem ist, dass Polizisten, Journalisten und Publikum eben jener Verwechslung zwischen Wunsch und Wirklichkeit aufsaßen, die sie der Toten unterstellt hatten. Die Schatzsuche-Story war in der Tat zu gut, um wahr zu sein: Dass das Opfer an Liebeskummer und Drogen starb, fand ein Dokumentarfilmer heraus - und drehte einen dritten Film namens "This is a True Story", von dem die Öffentlichkeit aber kaum Notiz nahm.

All das muss man wissen, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie groß das Sakrileg war, eine Mini-Serie zu drehen, die von diesem Kultfilm der Regisseure Ethan und Joel Coen inspiriert ist und auch noch seinen Namen trägt.

Der Autor Noah Hawley hat es gewagt - und die zunächst skeptischen Regisseure überzeugt, indem er groß dachte. Nichts weniger als die "Essenz des Guten und Bösen" wolle er mit der Serie einfangen, eröffnete er ihnen. Das zog. Gemeinsam will das Trio mehrere Staffeln produzieren, die zu verschiedenen Zeiten spielen, aber in derselben Realität und derselben Gegend, dem ländlichen Norden der USA.

Hauptfigur der ersten Staffel, die lange nach dem US-Start und der Verfügbarkeit bei Netflix nun in Deutschland auf DVD erscheint, ist Lester Nygaard, Versicherungsvertreter im Kaff Bemidji, Minnesota, gespielt von Martin Freeman ("The Office", "Sherlock", "Der Hobbit").

Um ihn herum: Ein aggressiver Spediteur, der ihm schon in der Highschool das Leben zur Hölle gemacht hat und auch als Erwachsener nicht vor körperlicher Gewalt zurückschreckt. Seine eigene dumm-dreiste, schnippische Frau, die subtiler, aber noch schmerzhafter auf ihm herumhackt. Und sein schnöseliger Bruder, der sich so sehr für Lester schämt, dass er manchmal herumerzählt, dieser sei tot.

Lester ist ein Mann wie Bernd das Brot: Sein Leben ist die Hölle. Wie sich das ins Gegenteil verkehrt, wie er sich vom Hobbit quasi zu Gangsterboss "Heisenberg" entwickelt wie der brave Walter White in "Breaking Bad", als er seine kriminelle Energie entdeckt, das Zeug zum Mörder, Meister-Manipulateur, Zocker und sogar Frauenheld, ist sensationell anzusehen.

Die Rache des kleinen Mannes war nie fürchterlicher, die dafür nötige charakterliche Evolution der Figur ist unglaublich, aber nie unglaubwürdig. Angestiftet hat Lester dazu der mysteriöse Lorne Malvo, ein Killer mit Doofie-Ponyfrisur, der wie der Satan persönlich Zwietracht sät zwischen den harmlosen Provinzlern, bis Blut fließt, und zwar in Strömen. Als Profikiller verdient er sein Geld, doch das ist offensichtlich nur ein netter Bonus; Malvo hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

Billy Bob Thornton spielt ihn als Verkörperung des absoluten, banalen ("Es gibt keine Regeln"), aber hochintelligenten Bösen je nach Szene mit spöttischer Herablassung oder stählerner Entschlossenheit und Präzision. Selten hat es einen faszinierenderen, verabscheuungswürdigeren Gegenspieler gegeben.

Auf der Gegenseite steht neben dem blutdrucksteigernd inkompetenten Sheriff Bill Oswalt (Bob Odenkirk, "Better call Saul") auch der pflichtbewusste, aber durchsetzungsschwache Officer Gus Grimly (Tom Hanks' Sohn Colin). Der muss sich eines Nachts entscheiden, ob er die Konfrontation mit Malvo wagt oder ihn ziehen lässt - aus Angst um sein eigenes Leben und davor, dass seine pubertierende Tochter dann völlig allein aufwachsen müsste.

Wie gut, dass es da noch die mollige, furchtlose und hartnäckige Ermittlerin Molly Solverson (zum Verlieben: Allison Tolman) gibt.

Die Charaktere sind stark, die Handlung außergewöhnlich clever, die Atmosphäre stimmig. "Fargo" ist hochspannend, dramatisch und teils brüllend komisch. Nichts weniger als ein würdiger Nachfolger.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort