450. Geburtstag des großen Dramatikers Das Genie Shakespeare

Düsseldorf · Er ist der größte Dramatiker der Theatergeschichte und bis heute der meistgespielte Autor auf deutschen Bühnen: William Shakespeare. Eine Würdigung zum 450. Geburtstag.

 William Shakespeare - seine Anhänger feiern in diesem Jahr seinen 450. Geburtstag.

William Shakespeare - seine Anhänger feiern in diesem Jahr seinen 450. Geburtstag.

Foto: dpa, Shakespeare Birthplace Trust

Man muss bei Hamlet beginnen. Beim Prinzen von Dänemark, dem größten Grübler der Theatergeschichte, diesem modernen Menschen. Hamlet ist verstört, weil er in Zeiten lebt, die aus den Fugen geraten sind, in denen modert, was einmal Moral war. Sein Onkel hat Hamlets Vater ermordet und dann dessen Frau geheiratet, um an die Macht zu kommen. Der Prinz ahnt, was faul ist im Staate Dänemark, doch erscheint ihm die Wirklichkeit zu komplex, um einzugreifen. Die alte Ordnung ist dahin, der gottverlassene Mensch jedoch erkennt nur seine Ohnmacht — und verfällt ins Grübeln.

Und Shakespeare, der Menschenkenner und Zeitenversteher? Er verlagert den lähmenden Widerspruch von Vernunft und Leidenschaft, das alte Ringen zwischen analytischen und impulsiven Kräften, in das Innere eines Menschen. Es ist die Geburt der Psychologie aus dem Geist der Tragödie. Mitten im Kirmeslärm des verruchten Amüsierviertels von London beginnt in einem hölzernen Open-Air-Theater die dramatische Moderne. Und ein Mann aus der Provinz, der als Schauspieler gelernt hat, erdachte Rollen mit Leben zu füttern und ein derbes Publikum bei Laune zu halten, stellt eine Figur in die Theatergeschichte, die die großen Konflikte der Menschheit am eigenen Leib durchspielt. Hamlet lässt einen die Melancholie der Moderne fassen, verstehen, fühlen.

Der Neo-Realist der Renaissance

Shakespeare (1564 — 1616) ist der Neo-Realist der Renaissance. Er brachte Menschen auf die Bühne statt wandelnder Allegorien, gebrochene Helden statt sündiger Missetäter, und so weckt er Mitempfinden für sein Bühnenvolk, für all die blutgierigen Herrscher und verschlagenen Höflinge und verliebten Narren und enttäuschten Fräuleins und ehrgeizigen Gattinnen. Und wenn am Ende aller blutigen Intrigen Richard III. Pferd wie Königreich verliert und Romeo zu früh zum Gift greift und der betrogene Shylock all seine Ansprüche einbüßt, dann haben die Zuschauer mit ihnen gedacht und gebangt, dann haben sie mit ihnen gelebt für ein paar Stunden.

Shakespeare stattet seine Figuren mit Sprachwitz aus, mit Esprit und Bissigkeit, mit Weisheit und Humor und dem emotionalen Potenzial für wahrhaftiges Verzweifeln. Er lässt sie brillieren, wortreich zaudern, erschüttert verstummen und baut Spannung auf, die mit der Bärenhatz in den Nachbartheatern südlich der Themse mithalten konnte. Dabei standen seine Darsteller auf karger Bühne. Welten musste er in Worten entstehen lassen.

Dazu gelingen Shakespeare immer wieder diese Momente, in denen er Gültiges so klar und scharf und entschlackt formuliert, dass es die Seele trifft. Gedanken, die seinen Zuschauern durchs Gehirn flattern wie Schmetterlinge fängt Shakespeare ein, spießt sie auf, betrachtet sie von allen Seiten. Und weil Erkenntnis immer Vergnügen bereitet, strömen die Menschen bis heute in seine Stücke. Er ist der meistgespielte Dramatiker in Deutschland. Vor Goethe, Schiller, Kleist. Vor Büchner.

Harter Kampf um Aufmerksamkeit

Shakespeare ist ein Kind des Konkurrenzzeitalters. Er musste im harten Wettbewerb der Londoner Theater bestehen, hatte keine Skrupel, Erhabenheit durch Frivolität und den Reiz des Sensationellen zu ersetzen. Er musste um die Aufmerksamkeit eines amüsiergierigen Publikums ringen. Seine Existenz war abhängig von seinem Geschick, mit Wörtern und Ideen zu jonglieren. Er war ein früher Kreativarbeiter. Die Anforderungen im privatisierten Unterhaltungsbetrieb und sein wacher Sinn für die Deformierungen des gekränkten, bedrängten, von falscher Gier getriebenen Menschen haben ihn zu einem von uns gemacht. Zu einem, dessen Stücke einfach nicht alt werden. Weil sie von unseren Ängsten, Zwängen, Verrücktheiten handeln. Von dem, was Leben ist.

Das charakteristische Merkmal von Shakespeares Weltsicht sei die Ambivalenz, schreibt der Berliner Literaturwissenschaftler Hans-Dieter Gelfert. Shakespeare billige seinen Figuren Willensfreiheit zu und mache sie trotzdem zum Spielball des Schicksals. Zwischen diesen Polen baut Shakespeare seine Spannungsspielfelder. Der Zuschauer erlebt, wie der machthungrige Macbeth versucht, sein Schicksal in die Hand zu nehmen und ihm gerade dadurch erliegt; wie King Lear glaubt, seine Töchter zu durchschauen und sie doch so gründlich verkennt; wie das Gift der Eifersucht in Othellos Seele tröpfelt, weil auch er eine Wahrheit zu kennen meint. Und völlig falsch liegt.

Shakespeare beschreibt all diese Tragödien mit ungeheurer psychologischer Hellsichtigkeit und mit Instinkt für die Gesetze des Thrillers. Wenn es in seinen Werken auch immer Schlacke gibt, Abschweifungen, die der heutigen Wahrnehmungsgeschwindigkeit nicht mehr entsprechen, so weiß er doch, wie er zupacken muss, um seine Zuschauer nicht aus den Klauen zu lassen. Und wenn er Irrungen und Wirrungen stiftet, Geschlechterrollen vertauscht, liebestolle Paare in den Wald jagt, Zaubertränke bereiten und vertauschen lässt, wenn er in seinen Komödien all den Trubel um die Liebe anzettelt, dann folgt ihm das Publikum ebenso hörig auf seinen verschlungenen Pfaden.

Lessing war Shakespeares Wiederentdecker

Und so ist es kein Wunder, dass einer wie Lessing, den die Mechanismen des Tragischen interessierten und der den Röntgenblick für das Gerüst des Dramatischen besaß, zum Wiederentdecker Shakespeares wurde. Seither lässt die Deutschen die Begeisterung nicht los. Die hiesige Shakespeare-Gesellschaft, 1864 gegründet, hat 2000 Mitglieder. Sie ist eine der größten literarischen Vereinigungen Europas.

Wenn einer erst der Größte ist, wird ihm bald auch Verschwörerisches in die Biografie gedichtet. Eine Amerikanerin fing an. Delia Bacon meinte 1857 erstmals beweisen zu können, dass die Werke Shakespeares niemals von einem ungebildeten Provinzschauspieler aus Stratford-upon-Avon geschrieben worden sein können. Die Raunerin endete im Irrenhaus, doch sie hatte Nacheiferer. Roland Emmerich zum Beispiel. Der Mann, der in Hollywood sonst sehr erfolgreich Großstädte in Apokalypsen stürzt, erklärte in seinem pikanten Historienfilm "Anonymus" den 17. Graf von Oxford, Edward de Vere, zum wahren Shakespeare. Darin erklärt er den Grafen nicht nur zum wahren Shakespeare, sondern macht ihn auch noch zum unehelichen Kind und späteren Geliebten von Königin Elizabeth. Das sind delikate Spielereien für einen Spielfilm, zur Annäherung an den britischen Theatergiganten taugen sie wenig.

In den Spekulationen über Shakespeares vermeintlich wahre Identität offenbart sich eher eine tiefe Skepsis gegenüber dem Genie. Shakespeare hat mit großer Wahrscheinlichkeit die Lateinschule von Stratford besucht, was ihn unter anderem in Berührung mit lateinischen Komödien gebracht haben dürfte. Sein Heimatstädtchen war auch keineswegs provinziell, sondern zu seiner Zeit eine Durchgangsstation für Intellektuelle vom Festland. Es ist also wahrscheinlich, dass Shakespeare die Bildungsgrundlage bekam, aus der sich sein Genie entwickeln konnte.

Die Skeptiker aber misstrauen dem Talent, glauben, dass ein Weltenerfinder einen Universitätsabschluss brauche. Als sei das Leben eines Schauspielers und Theaterleiters im elisabethanischen London nicht die wahre Universität für einen Dramatiker. An formaler Bildung mag es Shakespeare gemangelt haben, nicht aber an Kenntnis der Welt und Erkenntnis des Menschen. Davon handeln seine Werke.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort